Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 24. Band.1911
Seite: 138
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_24_1911/0180
DAS MÜNCHENER KUNSTLER-THEATER

, as Künstlertheater ist ein Ergebnis
jener großen deutschen Kulturwandlung
, welche man, vielleicht
etwas einseitig, als „angewandte
Kunst" zu bezeichnen pflegt. Die
Anfänge der Bewegung, aus welcher
dieses Theater hervorging, fallen zusammen
mit den Anfängen der angewandten Kunst überhaupt
. Damals, gegen Ende der neunziger Jahre,
war Darmstadt durch die von dem Großherzog
begründete Künstlerkolonie ein Ausgangspunkt
für die Propagierung der neuen Ideen, und von
dort aus habe ich auch zuerst versucht, dafür zu
wirken, daß auch das Theater einbezogen werde
in den Kreis erneuerten Kulturschaffens.*)

Die Ausstellung München 1908 brachte die
Entscheidung. Wie hier alle übrigen Produktionsgebiete
unter dem Einfluß schöpferischer
Formgewalt gezeigt wurden, so auch das Theater.
Einige der bedeutendsten Meister der Gegenwart
vereinigten sich mit uns im Verein Münchener
Künstlertheater in der Absicht, die
Lösung des Theaterproblems vom Fundament
aus zu versuchen. Denn darin unterscheidet
sich die Künstlertheater-Aktion wesentlich von
früheren und anderen „Reformen", daß man
nicht bloß die Bühne für sich allein oder
den Dekorations- und Kostümgeschmack zu
verbessern suchte, sondern daß siedasTheater
als organisches Ganzes dem aus der Zweckbestimmung
heraus schaffenden Formgeiste
unterstellt, d.h. das ganze räumliche Verhältnis,
das Drama und Zuschauer umfaßt, wollte man
endlich einmal zu lösen versuchen: Zuschauerraum
und Bühne. In diesem Sinne hat Max
Littmann, gestützt auf Schinkels und Sempers
allzulang vergessene Vorarbeiten, den
Bau gestaltet, in diesem Sinne haben unter
Benno Beckers Leitung einige der Ersten
aus der jüngeren Münchener Generation das
neue szenische Prinzip entwickelt und - - wie
heute einmütig anerkannt ist— siegreich durchgesetzt
: Fritz Erler („Faust" und „Hamlet"),
Julius Diez: („Wasihrwollt", „Judith"),AöOLF
Hengeler („Wolkenkuckucksheim", „Kaufmann
von Venedig"), Robert Engels („Wundertheater
", „Braut von Messina"), Wilhelm
Schulz, Th. Th. Heine, H. B. Wieland usw.

*) Ein Ueberblick über die Vorgeschichte des
Künstlertheaters findet sich in meinem Buche „Die
Revolution des Theaters. Ergebnisse aus dem
Münchener Künstlertheater". Dort auch Abbildungsmaterial
.

Die gesamte Bühnenanlage des Künstlertheaters
ist von geringer Tiefe im Verhältnis
zu ihrer Breite: eine Raumausbildung, innerhalb
welcher bewegte menschliche Körper am
stärksten wirken, zu einer rhythmischen Einheit
zusammengefaßt werden, und die zugleich die
Bewegung der Schallwellen nach dem Zuhörer
zu begünstigt. Nicht das perspektivische, tiefe
Gemälde, sondern das flache Relief ist also
maßgebend.

Die Portalarchitektur des Proszeniums setzt
sich auf der Mittelbühne fort im sog. „Inneren
Proszenium", dessen turmartige Seitenabschlüsse
verhindern, daß der Blick seitwärts
über die Bühnengrenze in den Werkraum
dringt. Sie machen die Kulissen überflüssig,
zugleich auch die Soffitten, indem sie oben durch
eine Bedachung verbunden sind — wie schon
Schinkel vorgeschlagen hat. Ihre neutrale
Ausgestaltung mit Tür und Fenster gestattet,
sie bald als Glied der Proszeniumsanlage, bald
als Glied der Bühnenausgestaltung zu verwerten
. — Die die beiden „Türme" verbindende
Brückenüberdachung kann verschieden
hoch eingestellt, und so der Bühnenausschnitt
unter gleichzeitiger Benützung der Seitenmäntel
verkleinert werden. Das Niveau der
Hinterbühne kann erhöht oder vertieft werden.
Erhält die Szene einen malerischen Abschluß,
der eine landschaftliche Weite darstellt, so
wird die Hinterbühne so tief versenkt, daß ihr
Boden dem Auge des Zuschauers nicht mehr
erreichbar ist. Erscheint nun die Figur des
Schauspielers auf der Bühne, so wird unbewußt
und unwillkürlich vom Zuschauer angenommen
, daß der von ihm nicht zu überblickende
Raum tatsächlich so breit sei, wie
er sein müßte, um die menschliche Figur in
dem sich dem Auge darbietenden Größenverhältnisse
zur Hintergrunds-Landschaft erscheinen
zu lassen. D. h. das Verhältnis ist
immer richtig, weil das Auge schlechterdings
gezwungen ist, es immer entsprechend zu ergänzen
, es selbst zu schaffen. — Bei der konventionellen
Bühne war das unmöglich, da das
Auge an dem Abstände der Kulissengassen, an
den Brettern des Bühnenbodens usw. das tatsächlich
vorhandene Raumverhältnis abmessen
konnte.

Die Vorder- und Mittelbühne empfangen ihr
Licht von vorn-oben. Die Hinterbühne hat
ihre eigenen, unabhängigen Lichtquellen, welche
so eingerichtet sind, daß alle Lichtstufen und

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