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SEIDENE KISSEN MIT HANDSTICKEREI □ NACH ENTWÜRFEN VON OTTO LIETZ AUSGEFÜHRT VON BETTY BERGER,
MÜNCHEN
STICKEREIEN VON OTTO LIETZ
"\ Tor der mühsameren Handstickerei hat die
* nach künstlerischen Entwürfen arbeitende
Maschinen- und Kurbelstickerei durch die vielfache
Wiederholung der gleichen Arbeit, durch
die rationelle Ausnützung von Material und
Arbeitskräften in großen Betrieben und die
sich daraus ergebende Verbilligung große Vorteile
, aber dennoch wird sie jene nie überflüssig
oder entbehrlich machen. Gerade auf
diesem ureigensten Schaffensgebiet der Frau
vermag die geübte Hand der Stickerin, die
mit Liebe am Werke ist, ihrer Arbeit Werte
zu verleihen, die keine maschinelle Verrichtung
oder Vervielfältigung geben kann, erhebt
doch erst die Liebe, die schaffen half, die
Arbeit zum Kunstwerk.
Schaffensfreude und
eine frohe Phantasie
spricht auch aus den
vielen Handstickereien,
die Otto Lietz und
Betty Berger in verständnisvollem
Zusammenarbeiten
geschaffen
haben, und die kluge
Erwägung, daß Gegenstände
, die uns täglich
umgeben sollen, alles
Aufdringliche und Prä-
tenziöse vermeiden müssen
. Solch taktvolles
künstlerisches Empfinden
schließt aber natürlich
eine gesunde Farbenfreude nicht aus und in
dem Abstimmen nuancenreicher Farben vom
rein koloristischen Standpunkt liegt ein besonderer
Reiz dieser Stickereien. So ist z. B. das
untere Kissen auf dieser Seite mit den silbergrauen
Spirallinien, mattvioletten Tupfen und
einer dünnen schwarzen Kontur auf brauner
Seide von schönster farbiger Harmonie, die der
Künstler auch zu wahren weiß, wo z. B. ein leuchtendes
Rot auf schwarzem Grund oder ein sattes
Blau auf hellem Grund lebhaft mitsprechen,
oder wo er ein kräftiges Grün in warmes Violett
senkt. Interessant ist es auch zu verfolgen, wie
eigen und selbständig er seine linearen Verzierungen
aus Naturformen entwickelt, die so vertraut
anmuten und die
man doch nicht zu erkennen
vermag. Ja, auch wo
man sich auf den ersten
Blick an die krausen Blüten
der ungebändigten
Jugendstil-Phantasie erinnert
glaubt, merkt man
bei näherem Betrachten
doch das Logische und
Ungekünstelte dieser
Formensprache, die zwischen
allzu nüchternem
geometrischen Ornament
und der naturalistischen
Nachahmung
von Naturformen die
rechte Mitte hält. d.
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