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DEUTSCHES KUNSTGEWERBE UND DER WELTMARKT
Deutschland in Brüssel und München in Paris
— das wären zwei internationale Posten
im Hauptbuche unseres
Kunstgewerbes. Trotz der
ungemein lustigen Widersprüche
in den Urteilen des
Auslandes, insbesondere
denen der Pariser Kritik
(vgl. Dezemberheft 1910),
dürfen wir wohl, ohne in
Selbstüberschätzung zu
verfallen, für beide Ausstellungen
einen besseren
Achtungserfolg buchen.
Wir haben uns auch mit
Genugtuung von den Verkäufen
der Münchner im
Pariser Herbstsalon berichten
lassen, wenngleich
dieser wirtschaftliche Gewinn
die sehr beträchtlichen
materiellen und ideellen
Aufwendungen keinesfalls
ausgleichen dürfte.
Aber darauf war es ja auch
garnicht abgesehen. Sondern
, wie Ausstellungen
überhaupt, so wollten auch
diese zunächst moralische
Eroberungen machen
, dem Auslande zeigen
, was wir kunstgewerblich
können und erstreben
.
Zunächst! Danach aber
stellt sich mit umso größerer
Schwere die Frage ein:
wie läßt sich dieses erworbene
Kapital an Achtung
in bares Geld umsetzen?
Wie oder wie weit ist das
moderne deutsche Kunstgewerbe
exportfähig? Scheint
es nicht jetzt endlich an
der Zeit, unsere intensive
nationale Kunstpolitik zu
einer extensiven Wirtschaftspolitik
international
zu erweitern? Denn allein
von der Achtung der fremden
Nationen kann kein
Volk auf die Dauer leben,
noch die Kosten seiner gewerblichen
Repräsentation
bestreiten.
Die Frage ist ziemlich
akut. Wir wollen
ihrer Beantwortung
P. ROSSLER □ ENTWURF EINES GLASMOSAIKWANDSCHMUCKS
DERSCHULE IN NEUGRUNA
ein paar Voraussetzungen
untersuchen.
Seit zehn Jahren etwa,
genauer seit der Pariser
Weltausstellung von 1900
pflegen wir uns Achtungserfolge
im Auslande zu holen
. Ob Turin, St. Louis
oder Brüssel — die Welt
ist immer ein wenig verdutzt
, fühlt sich zu näherem
Betrachten angeregt, bemängelt
und lobt, diskutiert
hin und her und im
Grunde immer mit dem
Unterton: diese Deutschen,
merkwürdige Kerle! Haben
eigentlich keinen Stil,
keinen Geschmack, keine
guten Formen im Weltverkehr
. Aber sie strengen
sich an, sind längst fertig,
wenn die andern noch herumprobieren
, und manches
bei ihnen ist auch wirklich
ganz nett. Alle Achtung.
Doch Amerikaner, Engländer
und Franzosen sind
noch recht weit davon entfernt
, diesen etwas widerwillig
dargebrachten Respekt
in die Tat umzusetzen
. Die erste und natürlichste
Wirkung ist vielmehr
bei ihnen die einer
vermehrten Selbstkritik:
wir dürfen uns nicht überflügeln
lassen; unsere Schulen
müssen besser werden
; wir brauchen nur zu
wollen, und diese Deutschen
sind für den Weltmarkt
erledigt mitsamt ihrer
Modernität.
Es sind namentlich die
Franzosen,die so sprechen.
Und die Exportgeschichte
ihres Kunstgewerbes gibt
ihnen ein Recht dazu.
Als im 17. und 18. Jahrhundert
die französische
Kultur ihre europäische
Herrschaftbegründete, war
das, was man seither so
ungeheuer vieldeutig „Geschmack
" zu nennen sich
Dekorative Kunst. XIV. 30. Juli 1911.
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