http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_24_1911/0556
Dinge. Auch die Künstler antworten noch in
sehr abweichenden Tonarten: München, Wien,
Berlin bedeuten mehr als bloße Nuancen der
modernen Stilistik.
Hinter den Arrangements französischer Dekorateure
stehen vornehm und feierlich die
französischen Könige. Wir empfinden sie etwas
mumienhaft, diese gepuderten Herren.
Aber der südamerikanische Kaffeepflanzer,
der sich elegant einrichten will, zieht den
toten Königsgeschmack dem der lebenden
deutschen Raumkünstler ohne zu zaudern vor.
Denn hier ist alles im voraus klar geordnet
und festgelegt. Ja, bei uns zu Lande gibt
es eine Menge begüterter Leute, die ebenso
Verfahren.
In seinen Plaudereien über „Bayern und
Sachsen" berichtet Jules Huret ganz stolz
von einem reichen Herrn in Wiesbaden, der
sich zwar zum Teil „neudeutsch" hätte ausstatten
, für Salon und Boudoir, also für die
repräsentativen Räume, aber doch einen Pariser
Dekorateur hätte kommen lassen. Jedes
große Möbelgeschäft wird bestätigen, daß es
mit seinen Lieferungen auf die zahlreichen
Liebhaber historischer Stileinrichtungen nach
wie vor angewiesen ist.
Also: unsere Raumkunst als solche, die
noch nicht einmal als Vertreterin typischdeutscher
Wohnungsgewohnheiten auftreten
kann, wird im Auslande noch eine gute Weile
lediglich platonischem Interesse begegnen. Ich
will damit nicht sagen, daß es zwecklos sei,
sie außerhalb in möglichster Vollendung zu
zeigen. Es mag sogar ganz nützlich sein.
Erscheinen doch solcherart diejenigen Einzelarbeiten
, für die sich das Ausland erwärmen
könnte, an bester, weil anschaulichster Stelle:
z. B. Beleuchtungskörper und Ziergegenstände
in Edelmetall, Gläser und Porzellane, Vorhänge
und Stickereien, lauter Dinge also, die zu dem
jeweiligen Raum nicht unbedingt gehören, irgend
ein durchschnittliches Luxusbedürfnis befriedigen
und Liebhaberwert gewinnen können.
Diese Welthandelsware von deutscher Art
und Qualität muß so typisch werden, wie es
etwa der „Nürnberger Tand" ist. Ob wir wollen
oder nicht, wir müssen Spezialitäten züchten
wie die großen Erfurter Gärtnereien, die die
halbe Welt mit den erlesensten Blumensamen
versorgen. Venezianische Gläser, Brüsseler
Spitzen, französische Bronzen, dänisches und
schwedisches Leder — jedermann kennt diese
Spezialitäten von Weltruf und kauft sie, weil
in ihnen die nationale Erfindungskraft, wie
die technische Erfahrung von Generationen
aufgespeichert ist. Ein ähnliches Vertrauen
zu unseren einheimischen kunstgewerblichen
Spezialitäten können wir erringen, wenn wir
die Treue gegen uns selbst mit dem festen
Willen zur Macht, zur Welthandelsmacht verbinden
.
Als Träger dieses Willens sollte man auch
das industrielle Unternehmertum gelten lassen
und „diese Leute" nicht samt und sonders
als brutale Egoisten brandmarken. Egoisten
sind wir alle. Es ist gewiß nicht böser Wille
und nicht immer Gleichgültigkeit gegen jeden
ästhetischen und nationalen Anstand, der den
Fabrikanten charakterlose Massenware auf den
Weltmarkt werfen läßt. Wenn z. B. Arbeiten
im reinlichen Sachstil Massenabsatz hätten,
würde mancher Fabrikant auf seine „Kunst"-
Erzeugnisse gern verzichten.
A. WINDE □ TAFELLEUCHTER (HOLZ M. GESSOTECHNIK)
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