http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_26_1912/0024
arch. ernst haiger-münchen
Hier fällt der Tisch mit seiner Maschine und
seiner nüchtern-praktischen Lampe nicht aus
dem Rahmen, er fügt sich ein, weil Holz und
Arbeit zu den anderen Gegenständen passen,
und weil man beim ersten Anblick erfaßt, daß
alles richtig zur Hand ist, der Platz für Manuskript
, Papier und rechts, ein wenig unten der
Raum zum Ablegen der vollgeschriebenen Seiten.
Haiger zeichnet sich aus im nachdenklichen
ästhetischen Ausgestalten solcher kleiner und
doch so notwendiger Dinge. So sind die Heizkörper
, zum Beispiel, einwandfrei bekleidet.
Meist ist Gitterwerk aus weißem Holz gewählt.
Dies scheint mir ein Prüfstein für die Güte von
Material und Arbeit, denn bei der geringsten
Vernachlässigung würde sich das Holz in kurzer
Zeit werfen, oder es müßte springen. Durch
solche Anwendung kontrolliert man den Handwerker
am besten.
Im ersten Stock liegt das geräumige Schlafzimmer
, ein heller schöner Raum mit freundlicher
Tapete, weißen Möbeln und gelben Ueber-
zügen. Ein großer Tisch, ein praktischer Schrank,
bequeme Sessel vervollständigen das Ganze.
Ein Badezimmer daneben enthält alles, was
moderner Komfort verlangt; es ist einfach, aber
mit wirklichem Raffinement ausgestattet, ohne
künstlerischen Schmuck, der einem Badezimmer
leicht den Charakter des Unbenutzten, rein De-
villa reisz: aus dem vorzimmer
korativen gibt. Bemerkenswert ist der Rasierspiegel
, in richtiger Höhe angebracht und gut
beleuchtet. Ich erwähne ihn besonders, weil
man ihn sehr selten weder in Privathäusern,
noch in Hotels an richtiger Stelle findet, obwohl
diese Einrichtung weder größere Kosten
noch Mühe beansprucht, sondern nur ein wohlwollendes
Nachdenken. Daß dieses bei so vielen
Bauten fehlt, wird man sich deutlicher bewußt,
wenn man ein solches Haus durchwandert, das
in jeder Kleinigkeit Sorgfalt verrät.
Auch die Fremdenzimmer, die Räume für
den Haushalt und die Dienstboten, die Heizanlagen
und Heißwasserleitung entsprechen den
modernen Anforderungen, die nicht nur in stilvoller
Schönheit, sondern auch in höchster Bequemlichkeit
und Erleichterung der häuslichen
Verrichtungen bestehen. Wir sind nicht mehr
so gutmütig und einfach wie die Vorfahren, daß
wir uns über allerlei geduldig hinwegsetzen.
Unsere Stimmung ist sofort gestört, wenn irgend
etwas nicht funktioniert oder nur mit Mühe
erlangt wird. So zwingt der moderne Mensch
den Handwerker wie den Künstler zu exakter
Arbeit, indem er alles verwirft, was, wie der
Italiener sagt, „alabuona" gemacht ist,und unser
Stil wirkt dadurch erzieherisch nach mancher
Richtung.
Alexander v. Gleichen-Russwurm
I
O
8
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_26_1912/0024