http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_26_1912/0324
Ein eigener Raum vereinigt Knüpfteppiche,
in denen manches Stück eine sehr reife und
hochentwickelte Flächenkunst zeigt. Es ist
für die Wiener Arbeiten charakteristisch, daß
eine Befreiung von historischen Fesseln durch
geometrische Strenge und Simplizität erstrebt
wird. Diese zeitweilig zu weit getriebene
Abstinenz scheint wieder im Schwinden begriffen
zu sein und weicht einem Streben nach
reicheren farbigen Wirkungen, ohne daß damit
eine Rückkehr zur Tradition verbunden wäre,
wie dies anderwärts der Fall ist.
Alles was bisher über die Gestaltungsgrundsätze
der Einzelgebiete kunstgewerblicherTätig-
keit gesagt wurde, vereinigt sich in den Interieurs
zu harmonischer Gesamtwirkung. Die leistungsfähigen
Wiener Tischlereibetriebe erreichen
unter künstlerischer Führung eine recht erfreuliche
Qualität.
Die größte Zahl der Innenräume stammt aus
einer gefestigten Kunstanschauung, die eine ungemein
klare Disposition mit architektonischer
Strenge durchführt. In Türhöhe werden zumeist
alle Wandflächen zusammengeschlossen; wenn
Holz die Wand bekleidet, werden glatte polierte
Flächen edler Hölzer vorgezogen. Starke Farbe
bleibt der Stoff wähl vorbehalten. Die Einheitlichkeit
eines formalen Rhythmus und eines farbigen
Akkords ist Grundbedingung des Schaffens —
das aber stets auf die praktische Benutzbarkeit
und Gebrauchstüchtigkeit großes Gewicht legt.
Sieht man, wie in diesen Räumen Tischler-
und Tapezierarbeit, Stoff und Teppich, Metallarbeit
, Keramik und Glas nach gemeinsamen
Grundgedanken gestaltet und geordnet sind,
einem Geist willig folgen, der Zweck, Formgebung
und Technik beherrscht, so freut man
sich des gleichmäßig ausbalancierten Kräftespiels
, dem man eine langjährige Prüfung und
Entwicklung bereits anmerkt.
Man sieht die Ausbreitung, und man möchte
schon fast sagen, die Popularisierung von
Gestaltungsgrundsätzen, die früher nur einzelne
Bevorzugte zu betonen wagten. Einer von diesen,
Prof. Josef Hoffmann, hat auch diesmal einen
Raum gestaltet, der inmitten der Arbeiten
seiner Schüler auffällt, einen Empfangsraum
aus Schwarz und Weiß. Vornehmste, kühl
reservierte Eleganz, schlanke Formen — entfernte
Erinnerungen an das Empire — modernste
Ablehnung der Stilkopie. Man fühlt sich heute
kräftig genug, mitunter alten Traditionen näher
zu treten, weil man sich ihnen überlegen weiß.
Einige andere Arbeiten der Ausstellung zeigen
noch weitergehende Tendenzen, mit dem Feuer
historischer Ueberlieferungen zu spielen. Dies
sind aber nur vereinzelte Erscheinungen.
Der Gesamteindruck der Ausstellung österreichischer
Kunstgewerbe ist der eines breiten
Stromes, der, von gepflegten Ufern gesichert,
neuen Gebieten kräftig zuströmt.
Hartwig Fischel
) arch. a, o. holub-wien □ silberner tafelaufsatz mit halbedelsteinen (
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