http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_26_1912/0601
LATERNE AUS
SCHMIEDEEISEND
ELEKTR. WANDARM
AUS BRONZE
ENTW.: J.WURSTL
AUSFUHRUNG:
REINH. KIRSCH,
MÜNCHEN
tausend Köpfen und Herzen erst die Sehnsucht
nach neuen und aufrichtigen Formen
der häuslichen Umgebung weckten. Nun wird
uns das Einzelstück dargeboten, und der Besucher
, der Konsument hat zu wählen. Was
aber ist „wählen" ? Nichts
anderes als angewandter Geschmack
. Der Käufer kann
und soll innerhalb der Grenzen
der Gewerbeschau ein
wenig zum Schöpfer werden,
er soll seinen persönlichen
Neigungen folgen und sein
Behagen, soweit es von Gebrauchsdingen
und Zierat abhängt
, selber schaffen dürfen
. Diese Reaktivierung des
Konsumentengeschmackes ist
ohne Frage eine Forderung
des Tages. Und es ist gut, daß
man ihr Raum gegeben hat.
Die Forderung kann auch
durch die Werkstätten-Betriebe
der Erfüllung näher gebracht
werden. Zwar, eine
wesentliche Zunahme
des Sachverstandes für die
Beurteilung der Qualität irgend
eines Artikels erwarte
ich mir von der Beobachtung
eines beliebigen und häufig
recht verzwickten Herstellungsprozesses
noch nicht.
Das geht doch ein bißchen
über unsere bescheidenen
FR. ROTH D GESCHMIED. FEUERGERÄT
AUSF.: JOHANN KÜFFNER, MÜNCHEN
Fähigkeiten der Wahrnehmung hinaus. Wenn
selbst erfahrene Fachleute über die Echtheit
irgend eines täuschend „verschönten" Materials
streiten können, wie sollte da der Laie wissen
und beurteilen lernen, ob das Leder, das der
Arbeiter dehnt, für diesen Gebrauchszweck
das rechte sei,
oder ob die Legierung der
eben vor seinen Augen geprägten
Medaille vollwertig
sei oder nicht. Was aber an
lebendigen Anregungswert
verbleibt, ist immerhin genug.
Jeder Arbeitsvorgang, auch
wenn wir ihn nicht in allen
seinen Einzelheiten verstehen
und in seinen Konsequenzen
übersehen, ist instruktiv.
Nichts ist lehrreicher, als einem
Hausbau zuzuschauen.
Und wenn statt des Hauses
nur ein Topf vor unsern Augen
entsteht, eine Kurbelstickerei
oder ein Maschinengewebe
, so wird uns das fertige
Erzeugnis nicht mehr
einen so toten Respekt einflößen
, und wir werden nicht
so oft in Versuchung kommen
, falsche Dinge am unrechten
Fleck zu verlangen,
Hörner vom Weinstock und
Trauben vom Ziegenbock.
Um es noch einmal zusammenzufassen
: die Gewerbe-
1
523
66*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_26_1912/0601