Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 27. Band.1913
Seite: 83
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_27_1913/0127
DIE ERSCHLIESSUNG DER KUNST

möglichst eindrucksvoller Gegenüberstellung,
damit vor allem die Unterschiede ins Auge
springen. Mit dem Augenblick, wo der Unterschied
zum ersten Male kräftig empfunden
wird, wird auch das Urteil geboren.

Es gilt auch, das Material möglichst auszudehnen
; ein einmal empfundener Unterschied
wird vergessen, ein zehn- und hundertmal
empfundener erst liefert allgemeinere
Gesichtspunkte, die als grundlegender Besitz
dem Urteilsvermögen zustatten kommen.

Vieles sehen und möglichst gemischtes
Material sehen — auf diese rein mechanische
Weise bildet sich der Geschmack. Nichts
kann gerade bei der Geschmacksbildung den
Augenschein und die Uebung ersetzen. Das
Wort, daß über den Geschmack nicht zu
streiten sei, hat nicht die Bedeutung, die man
ihm gewöhnlich zugrunde legt. Es gibt fraglos
einen guten (geübten) und einen schlechten
(ungeübten) Geschmack und in diesem Sinne
darf nicht nur, es muß sogar über den Geschmack
gestritten werden. Aber nicht der
Streit, d. h. nicht Argumente und nicht Theorien
sind es, die den Geschmack ändern und
bessern, sondern eben nur die Uebung. Und
in diesem Sinne ist allerdings aller Streit
über den Geschmack fruchtlos. Seine einzige
Frucht kann nur darin liegen, daß der mangelhaft
Geübte sich entschließt, seinen Augen
endlich das mangelnde Vergleichsmaterial zuzuführen
.

*

ÜBER DAS SAMMELN

Kunstwerke sammeln dient nicht nur der Befriedigung
eines mehr oder weniger stark in jeder
Seele vorhandenen Triebs zum Besitz, nicht nur der
Ausspannung und Erholung von allerlei Berufsarbeit
, der Verwendung überschüssiger, im Beruf
nicht verwendeter Lebensenergie, nicht nur zur Befriedigung
der Eitelkeit — die Sammeltätigkeit gehört
zu den Grundlagen der höchsten Form der
Bildung, die wir kennen, der Bildung im Sinne
Goethes. Sie ist die notwendige Ergänzung unserer
wesentlich auf Wort und Wissen angelegten Bildung
, denn sie führt zu den Dingen und in die
Dinge hinein, sie weckt und entwickelt die Kräfte
des Geistes und des Herzens, die sonst ruhen, sie
gewährt Zugang zu dem geheimnisvollen Wesen
der Wissenschaft und der Kunst und erfüllt mit
einem erwärmenden, alles durchdringenden Glücksgefühl
, das sonst nur der Forscher und der Künstler
kennt.

Die Erfahrung lehrt, daß, wer auf irgendeinem
Gebiet zu sammeln anfängt, eine Wandlung in
seiner Seele anheben spürt. Er wird ein freudiger
Mensch, den eine tiefere Teilnahme erfüllt, und ein
offeneres Verständnis für die Dinge dieser Welt bewegt
Seine Seele! Alfred Lichtwark

ANTON HANAK

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