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BERNHARD HOETG ER-D ARMSTADT DIE SCHATTENSEITEN DES LEBENS (vgl.S.28—31)
MAJOLIKA-FIGUREN, AUSGEFÜHRT IN DEN TON WERKEN KANDERN (BADEN)
neue Raumkunst ist im Entstehen. Aehnliches
gilt von der Plastik. Künstler wie Barlach,
Haller, Hoetger, Lehmbruck u. a., müssen endlich
im Sinne dieser Anschauung herangezogen
werden. Von den Genannten hat sich vor
allem Professor Bernhard Hoetger auf dem
Gebiete der sogenannten angewandten Kunst,
die das Leben bedeutet, in glücklichster Weise
betätigt. Eine Anzahl vollendeter Tonplastiken
mit gelungenen Glasuren sind bereits von ihm
bekannt: Reiterfiguren, Büsten, groteske Tiergestalten
, aus rotem Ton in Kandern hergestellt
; sie bedeuten ein erfreuliches Merkmal
seiner ersprießlichen Tätigkeit auf hessischem
Gebiete. Neue Arbeiten von großer Eigenart
sind jetzt in Köln ausgestellt. Knieende
Jünglingsgestalten von großer Innerlichkeit,
Frauengestalten von klassizistischer Schönheit,
durchgeistigt vom Abglanz eines tiefen Seelenlebens
. Ein reiches künstlerisches Ringen
spricht aus ihnen, ein Kampf gegen alles Banale
des Alltags. Neben diesen ruhenden Gestalten
sind andere von tiefer Leidenschaftlichkeit
erfüllt: Priestergestalten, in starkem
Kontrapost bewegt, am Boden hingestreckt oder
das Haar mit wilder Geste zerraufend, in den
Mienen ein ferner Abglanz buddhistischen
Fanatismus'. Die plastische Geschlossenheit
dieser Gestalten wirkt trotz ihrer Bewegtheit
wie die ewige Monumentalität romanischer
Bronzefiguren. In der Abstraktheit des weißen
Materiales, das sich wundervoll im Lichte
spiegelt, scheinen sie auf blauen Wolken ruhend
aller irdischen Schwerfälligkeit entrückt und
einer anderen Welt anzugehören. Ihr Wesen
ist Größe und Monumentalität, und es wäre
ihr Eigenstes, im Räume und auf den Raum
zu wirken. Max Creutz
DIE DURCHGEISTIGUNG DER DEUTSCHEN ARBEIT*)
AAit diesem Jahrbuch gedenkt der Werkbund eine
Schriftenserie zu eröffnen, die weiteren Kreisen
Aufschluß über die vom Bund erstrebte Durch-
geistigung der deutschen Arbeit geben soll. Statt
der Literaten sind vorwiegend die Praktiker zum
Wort gekommen, die von den Nöten und den Aufgaben
ihrer Sondergebiete berichten. Sehr viel
Neues können auch sie selbstverständlich nicht zu
den Fragen, die erfreulicherweise heute nach allen
Seiten und von so vielen Personen erörtert werden
, vorbringen, und doch ist es interessant von
ihnen auf einige Punkte hingewiesen zu werden,
die nicht immer als die wichtigsten angesehen worden
sind. So, wenn R. L. F. Schulz, der Lampenfabrikant
, nachweist, daß für sein Gebiet des Bronzegusses
die Künstler, die für jeden Beleuchtungskörper
einen neuen Entwurf zeichnen, der Qualitätsarbeit
entgegenwirken, da. sie dem Fabrikanten
die Möglichkeit nehmen an einem einmal für gut
befundenen Modell festzuhalten und es bei wiederholter
Verarbeitung ausreifen zu lassen. So, wenn
Karl Schmidt, der Leiter der Dresdner Werkstätten,
vor einer maßlosen Materialverschwendung warnt
und erklärt, daß wir jedes Jahr eine Milliarde in
*) Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit. Jahrbuch
des Deutschen Werkbundes 1912. Jena, Eugen Diederichs.
Gebunden M. 2 —.
der Tasche behalten, wohlhabender sein und höhere
Löhne zahlen könnten, wenn wir nur um die Hälfte
besser arbeiteten. Wenn G. Gericke, der Delmenhorster
Linoleumfabrikant, einenUeberblick überden
Weltgeschmack auf diesem Gebiet gibt, der gerade
in den englischen Ländern nichts oder doch nur
wenig von unserer Qualitätsproduktion wissen will.
Neben den Berichten über die diversen Werkbundunternehmen
schildert Karl Groß die Leidensgeschichte
der Ornamentik im 19. Jahrhundert und
die Möglichkeiten für eine weitere Entwicklung.
Peter Jessen gibt in seiner Einführung einen Ueberblick
über all das, was die Bewegung sich als Verdienste
anrechnet, und Muthesius, dessen auf der
Dresdener Tagung gehaltener Vortrag abgedruckt ist,
mahnt, über die kleinen Praktiken und einseitigen
Dogmen, die der Bewegung gelegentlich anzuhängen
drohen, hinauszukommen und das Ziel in der
schöpferischen Formgestaltung zu sehen. Hinter seinen
bemerkenswert scharfen Worten gegen die sogenannten
1850er, gegen die Ornamentisten, die alles
Heil in einem sekundären Aufgreifen der Louis-Philippe
-Formen sehen, scheint der Werkbund geschlossen
zustehen,denn unter den zahlreichenAbbildungen
von Gestaltungen, die als Resultate der Werkbund-
Arbeit angesehen werden wollen, fehlen — gewiß
nicht zufällig — alle derartigen Versuche! p. w.
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