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MODERNES WESTERWÄLDER STEINZEUG
Diese interessante Stuttgarter Ausstellung
(September 1912) war wieder einmal eine
Bestätigung der längst allgemeinen, wenn auch
noch nicht immer praktisch befolgten Ansicht,
daß das neuzeitliche Kunstgewerbe die erstaunliche
Höhe früherer Zeiten erst dann erreichen
wird, wenn die allerinnigste Beziehung zwischen
entwerfenden und ausführenden Künstlern
wieder hergestellt sein wird.
Fast alle modernen Kunstgewerbler von
Bedeutung haben sich an das Steinzeug herangewagt
. Aber nicht alle mit gleichem Erfolg!
Manche Formen gab es in der Ausstellung,
denen man von weitem ansah, daß ihr Entwurf
von Künstlern stammte, die nicht persönlich
an der Drehscheibe gestanden haben,
um den Charakter, die Vorzüge und Schwächen
, die Tücken und Launen dieser eigentümlichen
Masse zu studieren. Trotzdem war
die Formengebung im großen und ganzen noch
besser gelungen als die neuen Verzierungsversuche
. Es scheint ungeheuer schwierig zu
sein, für Steinzeug das richtige Dekor zu finden
, will man sich nicht einfach auf die Kopie
der prachtvollen alten Ornamente beschränken.
Vasen mit Tapeten- und Zeugdruckmustern;
Krüge mit Buchvignetten auf der Stirnseite,
Kannen mit Verzierungen, die sich ebensogut
für Sofakissen eigneten; Becher mit bunten
Malereien im Plakatstil
; Blumentöpfe mit
für Lederpressung bestimmten
Cissarz-Mo-
tiven brachte diese
Stuttgarter Ausstellung
lange nicht so
vereinzelt, als man annehmen
möchte, obwohl
solche Verzierungsfehler
Tom modernen
ästhetischen
Standpunkt durchaus
zu verwerfen sind.
Immerhin waren
diese weniger geglückten
Stücke in der Minderheit
. Im allgemeinen
bot die Ausstellung
ein erquickliches
Bild des künstlerischen
Ernstes und
des tatkräftigen Wollens
, mit dem im Westerwald
unter Führung
der Kgl. Fachschule gearbeitet wird und
das für die Zukunft das Beste hoffen läßt.
Ganz besonders ist zu schätzen, daß sich
an der Ausstellung sämtliche Firmen — von
Höhr und Grenzhausen — und zwar alle mit
guten modernen Stücken beteiligt haben. Es
seien zunächst genannt die Vereinigten Steinzeugwerke
, denen sich Reinhold Hanke, Höhr,
Reinhold Merkelbach, Grenzhausen, Simon
Peter Gerz I, Höhr und Walther Müller,
Grenzhausen, angeschlossen haben, ferner
Alfons Lötschert, Höhr, Merkelbach & Wiek,
Grenzhausen, Dümler & Breiden, Höhr, Marzi
& Remy, Höhr, Joh. Peter Thewalt, Höhr und
Roßkopf & Gerz, Höhr.
Vom Allerbesten der Ausstellung und bis
jetzt noch nicht zur Reproduktion Gelangten*),
sei hier einiges im Bilde wiedergegeben. Das
Huhn der Kgl. Fachschule mit der Signatur
H. Berndt wurde als eines der erstklassigsten
Erzeugnisse vom Kgl. Landesgewerbemuseum
für die ständige Sammlung erworben. Recht
gut, nicht nur in der Ausführung, sondern
auch für das Material gedacht, sind die von
Hans Wewerka entworfenen Figuren der
Firma Reinhold Hanke, Höhr (Abb. S. 133 u.
134). Die Krüge, Kannen und Dosen der
Firmen Alphons Lötschert, Höhr und S. P.
Gerz I, Höhr, für die Paul Wynand, Trude
Study und Wilhelm
Batelbeck die Entwürfe
lieferten, sind in Formengebung
wie Verzierung
ebenfalls tadellos
.
Es bleibt nur zu
wünschen, daß derein-
geschlagene Weg unter
der ausgezeichneten
Führung der
Kgl. Fachschule weiter
verfolgt wird, deren
Lehrern der bedeutende
Aufschwung,
den das Westerwälder-
Steinzeug in den letzten
Jahren genommen
hat, vor allem zu danken
ist. Leo Balet
*) Vergleiche Dekorative
Kunst XIII, Heft 10. Juli
1910; XIV, Heft 4. Januar
1911 und XV, Heft 11.
August 1912.
H. BERNDT (KGL. FACHSCHULE FÜR KERAMIK, HOHR)
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