http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_28_1913/0276
Ausführung: Gottfried Heinersdorff, Werkstätten für Glasmalerei, Berlin
DIE NEUEN GLASMALEREIEN VON JOHANN THORN-PRIKKER
So widersprechend die Urteile über die Kol- schöpferisch verwendete, der die schalen Reste
ner Ausstellung des Sonderhundes waren. einer toten Romantik über Bord wirft. Hier
endlich ist wieder die alte Kraft des deutschen
Volkes. In diesen Köpfen lebt seine ganze
Geschichte. Asketen und Grübler, Denker und
Mystiker, Gestalten von innerer Leidenschaftlichkeit
mit Runen des Leidens im Antlitz, voll
Entsagung, durchglüht von frommem Eifer und
Begeisterung.
Die Abbildungen geben die Lebendigkeit der
Darstellungen nicht entfernt. Das Strahlende
des Lichtes ist naturgemäß nicht zu ersetzen.
So wirkt manches in der Wiedergabe unorganisch
, auf eine tote Fläche gebannt.
Die Reihe der Darstellungen steigerte sich im
Verlauf der Arbeit zu immer größerer Intensität
der Wirkung. Die einzelnen Glasbilder
werden den Chor einer Kirche füllen, die drei
mittleren mit figürlichen Darstellungen in der
Höhe von 13 Metern, die übrigen in rein ornamentaler
Belebung. Schon die große Höhenausdehnung
deutet die gotische Tendenz der
Darstellungen an, die auch rein ornamental von
einem Maßwerksockel emporgetragen werden.
Jedes figürliche Fenster zeigt vier Darstellungen
aus dem Leben Jesu. Diese figürlichen Fenster
sind von großen, farbigen Teppichfenstern flankiert
. Ihre Farbenglut soll den Karfreitag mit ^
^o widersprechend die Urteile über die Kölner
Ausstellung des Sonderbundes waren,
in der dunkeln gotischen Apsis vor den Glasfenstern
Thorn- Prikkers verstummte aller
Zank und alle Gehässigkeit. Hier stand man
unmittelbar vor etwas Neuem, Großem, Ungeahntem
. So etwa mag das bäuerliche Volk ehemals
aus zänkischem Alltag heraus in romanischen
Kirchen die Farbenglut der Fenster angestaunt
haben: mit großen Augen, ergriffen
und überwältigt. Hier war endlich einmal etwas
Aehnliches, endlich etwas, vor dem man
sich beugen mußte. Flammengarben lohten
empor, dunkelgrün und rot, blau und gelb, wie
dunkle Schwaden sich mit roten Gluten mischen
, voll Widerstreit der Kräfte, aus Nacht
und Dunkelheit zu Licht und Auferstehung.
Die Gestalten wachsen heraus aus dieser
anderen Welt, die fern und unirdisch emporsteigt
, groß, monumental und überlegen wie
die alten Holzschnitte der deutschen Kunst.
An alles was deutsch ist in der Vergangenheit,
wird man erinnert: an die dunkle Urgewalt romanischer
Glasmalerei, an die drohende Kraft
in Gebärde und Ausdruck in der mittelalterlichen
Kunst, an ihre unmittelbar überzeugende
Macht und Wirkung. Hier endlich ist ein
Künstler, der diese Urgewalten ahnte und neu-
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