Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 28. Band.1913
Seite: 511
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UNANGEBRACHTE FEIERLICHKEIT

Eine Fassade voll Wucht des Urgesteins,
mächtige dorische Säulen, vom Sockel bis
zum Dache des fünfstöckigen Gebäudes durchgehend
, ein Hauptgesims, ein Giebel von antiker
Feierlichkeit, eine Pforte, ganz mit funkelndem
Metall gewappnet, als hätte sie das
Geheimnis eines dunklen Gottes zu hüten, im
ganzen Bauwerke nichts als Strenge, Ewigkeit
und tempelhafte Majestät, Jahrhunderten zu
trotzen bereit. Poseidon, der Herr des Meeres,
der bei Pästum immer noch eine sehr würdige
Wohnstätte besitzt, würde vor Neid erblassen,
sähe er diese zeremoniöse Behausung. Und
welchem Gotte ist sie geweiht? Keinem Gotte,
sondern einer Göttin, einer Muse, und zwar
keiner von den neunen des alten Hellas, sondern
der jüngstgeborenen, der zehnten.

Ich denke an jene zahllosen „Lichtspielhäuser
" — ein merkwürdiger Fall: das deutsche
Wort ist hier vornehmer als das fremde —
deren Erbauer alle Monumentalität, die sie in
sich fühlten, auf die Fassade und den Innenraum
dieser geistig so anspruchslosen Volksbelustigungsstätten
abgeladen haben. Wir leben
zwar in dem Zeitalter, das die „Anpassung
an den Zweck" erfunden hat, und mit welchem
Pomp! Die kuriosesten Einfälle hat die „Zweckmäßigkeit
" schon entschuldigen müssen. Aber
einen grelleren, einen schreienderen Kontrast
wie zwischen der phrasenhaften Feierlichkeit
der heutigen Kinoarchitektur und dem Wesen
der Kinodarbietungen kann man sich nicht
leicht denken. Daß man Photographien, die
man an die Wand hängt, nur ganz leicht und
flach rahmen darf, weiß jeder, der in diesen

Dingen einiges Gefühl und einige Erfahrung
besitzt. Der reich profilierte oder gar vergoldete
Photographien-Rahmen ist ein untrügliches
Kennzeichen zurückgebliebensten Provinzgeschmackes
. Aber den Darbietungen des
Kinos, die doch auch nur von zweidimensionaler
Beschaffenheit sind, gibt man einen architektonischen
Rahmen, der für die größten, geistigsten
Vorführungen nicht zu anspruchsvoll wäre.
Das ist Entgleisung, das ist Phrase.

Man spricht viel von dem Streben unserer
Zeit nach ihrem höchsten monumentalen Ausdruck
. Weit und breit nicht ein einziges Talent
, das nicht die Empfindungsgröße antiker
Menschheit in sich spürte, das sich nicht berufen
fühlte, die pompöseste, die tönendste
Sprache zu führen! Aber was soll man von
einer Monumentalität denken, der nachgerade
jedes Objekt gut genug ist, um zweckwidrig
und aufdringlich in die Erscheinung zu treten?
Alte Zeiten haben ihren monumentalen Ausdruck
lediglich an entsprechenden Gegenständen
entwickelt, an Behausungen des Kultus oder
des Zusammenströmens gewaltiger Volksmassen
. Heute ergießt sich Monumentalität und
drohend-düstere Feierlichkeit wahllos über alles
— den monumentalen Stuhl besitzen wir schon —
und in der Malerei lassen sich selbst die
zimperlichsten, die schwächlichsten Talente
nicht abhalten, immer wieder die Erfüllung
der „monumentalen Sehnsucht" zu versuchen.
Das monumentale Kino schließt diesen Ring
sehr würdig. Es gab früher ein Sprichwort: Die
Lächerlichkeit tötet. Wie ist es heute in seiner
Geltung erschüttert! Wilhelm Michel

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