Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 28. Band.1913
Seite: 542
(PDF, 180 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_28_1913/0636
wie sie der Eisenbeton aufweist, der Architektur
zu bieten haben wird. Der Grundriß zeigt
ein kreisrundes Zentrum mit vier halbkreisförmigen
Apsiden, um welches breite Umgänge
mit Garderobenischen gelegt sind, während je auf
den Mitten die Eingängemit den Treppen, Nebenzimmern
, Toiletten usw. angeordnet sind. Ueber
der kreisrunden Innenhalle schließen sich 32
schmale Betonrippen zu einer Kuppel zusammen,
und auf diesem stabilen Gerüst sind, in fünf
übereinander liegenden Zylindern und treppenartig
ansteigend die Lichttrommeln aufgesetzt.
Der gewaltige Bau bedeckt eine Grundfläche von
rund 13 300 qm,die Innenhalle faßt 10 000 Menschen
, und die Kuppel hat eine Spannweite
von 67 m. Man erinnere sich bei diesen Zahlen
daran, daß die Kuppel des Pantheon nur 43,50 m
und die der Peterskirche in Rom 43 m Spannweite
hat. Die Wirkung dieser geweiteten Raummaße
ist, namentlich im Innern, wenn die Halle mit
Menschen gefüllt ist, sehr bedeutend. Die
Außenarchitektur vermag am ehesten bei entfernten
Standpunkten zu befriedigen, wo man
einen klaren geschlossenen Eindruck der räumlichen
Erscheinung empfängt. Die gestaffelten
Lichtzylinder bringen dann durch ihre perspektivische
Ueberschneidung die Kontur der Kuppellinie
mit genügender Schärfe heraus, und die
Unklarheiten, die durch die vorgelagerten Garderobenumgänge
für den Nahstandpunkt hervorgerufen
werden, bleiben unwirksam. Ueberhaupt
hat der Architekt mehr als im Detail in der Gesamtform
und in der Silhouette des Gebäudes
den Charakter des Eisenbetonmaterials getroffen.

Betrachtet man daneben vergleichsweise die
von Poelzig ebenfalls in Eisenbeton erbaute
Ausstellungshalle, so könnte man glauben, hier
habe mehr das künstlerische, bei der Jahrhunderthalle
dagegen mehr das technischkonstruktive
Problem, das dieses neue Material
dem Architekten zu bieten hat, zur Lösung
gestanden. Poelzig, der mit dem Gebäude der
kulturhistorischen Ausstellung ein Bauwerk von
einfachen Konstruktionsformen zu errichten
hatte, hat der Durchbildung der Einzelform
und vor allem auch der Raumgestaltung die
ungeteilte Kraft seines starken Architekturtalents
zugewendet. Der typische Museumsgrundriß
des Hauses gruppiert vier fast gleichlange
Flügel um einen ungefähr quadratischen
Gartenhof. Je in den Mitten dieser Flügelbauten
ist ein Kuppelsaal angeordnet, dem zu Seiten die
kleineren Ausstellungsräume und Kojen liegen.

In der Ausstattung dieser Räume, namentlich
in der farbigen Dekoration der Kuppelsäle,
hat Poelzig einen außergewöhnlichen Sinn für
Monumentalität bekundet. Die Eingangshalle
ist ohne besonderen architektonischen Schmuck

schlichtin Schwarz und Weiß, in den preußischen
Landesfarben, bemalt und mit einem breiten
Schriftband ornamental gegliedert. Die Kuppel
des gegenüberliegenden Saales, der ein großes,
von Professor Max Wislicenus gemaltes Wandbild
der ehemaligen Festung Breslau beherbergt,
trägt ein elliptischer Kranz schlanker Säulen.

Die vier Kuppelsäle öffnen sich über breite
Freitreppen gegen einen architektonischen Gartenhof
in strengen Empireformen, der mit einem
Athene-Brunnen geschmückt ist. Die ausgezeichnete
figürliche und ornamentale Plastik
dieses Wasserwerks hat der Breslauer Bildhauer
Robert Bednorz geschaffen.

In dem Architektursystem der Fronten hat
Poelzig kanellierte, das Motiv der dorischen
Säule in glücklicher Weise fortbildende Stützen
verwendet, die einen schweren Architrav und
eine hohe, ungegliederte Attika tragen. Die
Stützen haben, soweit sie freistehen, elliptischen
Querschnitt; ihre Kanellüren deuten den Verlauf
der Rundeisen im Inneren der Betonkörper
an. Vorzüglich wird die Eigenart des Baumaterials
, das eine Gußmasse ist und zwischen
einer kastenähnlichen Verschalung von Brettern
gestampft wird, in den gedrungenen Formen der
Detaillierung zum Ausdruck gebracht. Die räumliche
Erscheinung des Hauses wirkt mit einer
fast klotzähnlichen Körperlichkeit, ohne doch
einer wohltuenden rhythmischen Gliederung zu
entbehren. Mit monumentaler Wucht steigen
auf ihren gedrungenen Unterbauten die niedrigen
Kuppeltürme empor, zwei über rundem, zwei
über flachelliptischem Grundriß. Im einzelnen
von großer Schönheit, sowohl im Umriß wie
in der Gliederung und in der Durchbildung
der Detailformen, fehlt ihnen doch das zwingend
Ueberzeugende der organisch gewachsenen
Form. Sie sind Motiv geblieben, wenn auch
ein sehr wirkungsvolles und nicht minder geistreich
durchgebildetes Motiv; aber es ist dem
Architekten doch nicht gelungen, sie zu einem
notwendigen, zu einem integrierenden Bestandteil
des Hauses werden zu lassen. Solche Einschränkungen
können indessen den künstlerischen
Wert dieser Leistung nur wenig beeinträchtigen
. Hier ist erstmalig in großem Maßstab
und mit glücklichem Gelingen der kühne Versuch
unternommen worden, das neue Material
des Eisenbetons aus den Lehren der Tradition
heraus zu begreifen und mit dem Rüstzeug der
akademischen Ueberlieferung künstlerisch zu
gestalten. Und Poelzig hat in seinen Projekten
für die Breslauer Ausstellung dieses Problem der
Architektur mit einem Grad von Selbständigkeit
und mit frischer Ursprünglichkeit angefaßt, die
von seiner Begabung künftig noch Großes erwarten
läßt. Walter Curt Behrendt

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