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DER MÄRCHENBRUNNEN
Berlin hat in diesem Sommer zwei gärtnerische
Anlagen von ganz verschiedener
Physiognomie erhalten: den Schillerpark; im
hohen Norden und den Märchenbrunnen
am Eingang des Friedrichshains. Zwei Anlagen,
die aus so verschiedenen Welten und so verschiedenartigen
Weltgefühlen heraus stammen,
daß an eine Vergleichsmöglichkeit gar nicht zu
zu denken ist.
Der Schillerpark ist ein Volkspark im
neuen, demokratischen Sinne des zwanzigsten
Jahrhunderts. Er ist mit seinen Sportplätzen,
seinen Plansch- und Spielwiesen als eine hygienische
und sportliche Anlage für die proletarischen
Massen, die seine Ränder bevölkern,
gedacht. Als eine Frucht jener Bestrebungen,
die uns mit so dankenswertem agitatorischen
Eifer die „wohnlichen" Parkanlagen der neuen
Welt vorgeführt haben, will er ein großer,
freier Aufenthaltsraum für Menschen sein, die
an Raum und Tummelfreiheit bekanntlich keinen
Ueberfluß haben. Der Entwurf dieser Anlage
, mit der ein neuer und sehr wünschenswerter
Geist in die Berliner Parkdeputation
einzuziehen beginnt, stammt von dem Magdeburger
Friedrich Bauer, der in einem für
diese reformatorischen Volksparkideen symptomatischen
Wettbewerb den Preis davongetra- H
gen hat. Nach der Ausführung, die leider nicht
in allen Einzelheiten diesem ersten Preisentwurf
entspricht, ist zu sagen, daß die Bevölkerung
des Berliner Nordens mit diesem Schillerpark
eine Anlage erhalten hat, in der sie sich
schon nach wenigen Wochen wohnlich einzurichten
wußte. Die Kinder, die in den meisten
Fällen nicht einmal Schuhe und Strümpfe auszuziehen
brauchen, haben mit Begeisterung von
dem Planschbecken Besitz ergriffen; die kleinen
und großen Spielplätze, die geschickt als
Raumkompartimente zwischen den Bäumen und
die Hauptalleen entlang verteilt worden sind,
wimmeln von einem buddelndem Nachwuchs,
über die Sportplätze fliegt der Fußball, die
großen Wiesen sind bevölkert und belagert mit
allem, was so eine nördliche Berliner Mietkaserne
an Menschen umfaßt, und der Einzige,
ARCH. LUDWIG HOFFMANN □ EINGANGSTOR ZUM MARCHENBRUNNEN □ PLASTIKEN VON JOSEF RAUCH-BERLIN J
Dekorative Kunst. XVII. i. Oktober 1913
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