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DIE AUSSTELLUNG DER DEBSCHITZ-SCHULE
IM BERLINER KUNSTGEWERBE-MUSEUM
I. SCHÜLER-ARBEITEN
Die Ausstellung der Debschitz-Schule
im Berliner Kunstgewerbemuseum war
eine Ueberraschung. Seit mehreren Jahren
hatte man in der Oeffentlichkeit nichts Authentisches
mehr von dieser ersten der neuen
kunstgewerblichen Lehranstalten gehört. Gelegentliche
Beteiligungen an größeren Ausstellungsveranstaltungen
konnten ein rechtes
Bild nicht geben. In der Erinnerung haftete
noch eine vage Vorstellung von den frühen
Anfängen dieses Institus, das vor nunmehr
zehn Jahren von Wilhelm von Debschitz
und Hermann Obrist begründet worden war.
Man dachte an das berühmt gewordene Beispiel
von der Haferrispe, an jenes organische Sezieren
der Natur, das, wie W. von Debschitz im Märzheft
1904 dieser Zeitschrift auseinandergesetzt
hatte, durchaus kein Naturalismus, kein bloßes
Abschreiben der Natur sein wollte. Erinnerungen
, die noch mannigfach getrübt wurden
durch Arbeiten von Leuten, die behaupteten,
kurz oder lang in der Debschitz-Schule gesessen
zu haben. Die Münchner Lehr- und Versuch-
Ateliers waren so für die Allgemeinheit umnebelt
von der Sphäre eines sensiblen Artismus,
der gewiß seine Reize
hat,wenngleich es auch
klar ist, daß man eine
große Schulorganisation
nicht auf ein paar
delikate Reize aufzubauen
vermag.
Bleibt es auch immer
gewagt, eine Lehrtätigkeit
nach einer noch so
umsichtig organisierten
Schulausstellung
zu beurteilen, so reichten
doch die tausend
von Debschitz-Schülern
entworfenen und
ausgeführten Objekte
aus, um jenehöchliche
Ueberraschung hervorzurufen
. Es zeigte
sich, daß dieser ganze
Vorstellungskomplex,
den man von dieser
Münchner Lehranstalt
mit sich herumschleppte
, gar nicht mehr zutrifft
. Sie war in ihrer
zehnjährigen Lehrpra- fr. eisenhofer
xis aus ihrer eigenen Entwicklung, über ihre eigenen
Grenzen hinausgewachsen. Nicht als ob
das auf eine hohe künstlerische Ertüchtigung
gerichtete System geändert worden wäre; jener
Artismus, den der Liebhaber eines edlen Kunsthandwerks
selbstverständlich nicht missen
möchte, ist im Sinne einer praktischen Gewerbebetätigung
organisiert worden. Damit scheint
sich in dieser privaten Anstalt, die trotz der
neuerlichen Subventionierung durch die bayerische
Regierung und die Stadt München sich
die Vorzüge eines privaten Instituts erhalten
hat, ein möglicher Ausgleich einzustellen zwischen
den divergierenden Tendenzen, an denen
in heutiger Zeit die Kunstgewerbeschule notwendigerweise
leidet. Sie soll in dem Lernenden
künstlerische Kräfte entfesseln und soll nicht
weniger der Alltagspraxis dienen. Was, wie
wir sehen, gelegentlich dahin aufgefaßt wird,
daß die Praxis mit ihren Anforderungen als
programmwidrig sehr außer acht gelassen wird,
oder daß andererseits aus dem zukünftigen
Diener ein Sklave der Praxis gemacht wird.
Was von dem besten Material, das heute die
Kunstgewerbeschulen durchlaufen hat, verlangt
wird, ist ja nicht wenig.
Der in die Praxis entlassene
Schüler soll
den Gewerben frischeste
Impulse geben und
soll sich doch im weitesten
Sinne einschmie-
gen in Traditionen und
Bedürfnisse, die seinem
künstlerischen
Ideal in den seltensten
Fällen entsprechen. Er
soll zu der allerhöchsten
Kunst des selbstlosen
Dienensgebracht
werden und überdies
bei dem Kampf um den
großen Markt nicht der
Ideale verlustig gehen,
die uns den neudeutschen
Gewerbler wert
machen. Die Organisation
der Debschitz-
schen Schule, wie sie
sich heute darbietet,
geht nun von einer
künstlerischen Allge-
majolika-figur meinbildung aus. Das
Dekorative Kunst. XVII. 2. November 1913
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