Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 30. Band.1914
Seite: 316
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und Meißel, um auf schwankendem Gerüst in
die aufgetürmten Mauern der Dome Sinnbilder
und Fratzen zu klopfen, nach dem geschliffenen
Stahl, um zur Ehre Gottes oder zum Wohlgefallen
der Menschen, den ungefügen Holzpflock
lebendig, sprechend zu machen.

Das Bildschnitzen ist immer als eine Volkskunst
angesehen worden. Vielleicht deshalb,
weil Material und Werkzeug jedem zur Hand
waren. Jeder Bursch hatte in seiner Tasche das
Messer, einen Holzpflock gab es überall und
überall auch müßige Stunden, in denen der
Spieltrieb nach Betätigung lechzte. Was so
wurde, stand den Leuten menschlich nah. Es
wurde nicht als große Kunst angesehen wie
die, die man in Meisterwerkstätten lernte, und
die zum Ergötzen der Edelleute geübt wurde.
Es gab da kein System des Schönen, keine ß
kniffliche Aesthetik mit Regeln, die zu be- £j
achten und zu befolgen waren. Man gestaltete
aus ursprünglichen Antrieben heraus, formte,
wie es einem zu Sinn war, hörte in den Hölzern
geheimnisvolle Rhapsodien rauschen und wollte
sie wie die eigne Seele erlösen.

Aus solchem Drang entstehen in der germanischen
Welt die erschütternden Kunstwerke.
Wo bei uns das Schöne und das formale Gebundene
angestrebt wurde, war Ohnmacht das
Ergebnis. Um wie die großen Kunstnationen
dekorativ zu tändeln, mußten wir unseres Besten,
unserer Innerlichkeit, unserer Lust am Knorrig- ^
Individuellen, am Charakteristischen entraten
Der deutschen Holzplastik — wie aktenmäßig
schwer, wie gelahrt klingt solche Vokabel
gegenüber so naiven Auswirkungen eines Volksgeistes
! — ist diese Gefahr fast ganz erspart
geblieben. Die feinen Leute, die in einem
Gebild der menschlichen Hand nie die Menschlichkeit
sondern die „Strömung", die „Entwicklungslinie
" sehen, haben dem, was da im
Holz von der bäuerischen Derbheit entstand,
zuzeiten einfach keine Beachtung geschenkt.
Gewiß, manch einer von diesen Bildschnitzern,
der Tillmann Riemenschneider, um den bekanntesten
der Namen zu nennen, ist in die
Glorie ihrer Kunstgeschichtsbetrachtung eingegangen
; aber im großen blieb das ein Strom,
der unter der Oberfläche feudal-aristokratischer
Schönbildnerei dahinfloß, um zu versiegen,
als das Volk künstlerisch verstummte.

Wir, die wir mit so viel Intellekt an derlei
Erscheinungen herangehen, sind voll wehleidiger
Klagen über den Gang dieser Entwicklung,
die gerade vor uns so jäh abbricht. Mit dem
Stolz, der uns auf einmal überkam, als wir
die grandiose Charakteristik vom Wurm angefressener
Holzfiguren zu begreifen begannen,
r.langer-steglitzqhirtenjunge(birnbaumholz) hat uns auch die Scham angewandelt, in den (

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