Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 32. Band.1915
Seite: 150
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J. V. SCHAFER

FRAUEN AM STRAND

DIE SILHOUETTEN VON FRAU JOHANNA V. SCHAFER

Es gibt am Baume der Kunst keinen Zweig,
der nicht die Kraft in sich trüge zur
Ewigkeitsblüte. Im Laufe der jahrtausendalten
Menschheits- und Kunstgeschichte schien
mancher schon mehr als einmal Jahrzehnte, ja
Jahrhunderte lang für immer verdorrt und wurde
zwischen so vielen reichblühenden Brüdern
wohl auch ganz übersehen und vergessen. Aber
dann kam immer wieder jemand daher, ein
Mensch mit einer Poetenseele und mit jenem
heißen Künstleratem, der die erweckende, belebende
Kraft des Frühlingsodems hat, und
siehe da, der totgeglaubte Zweig trug jäh wieder
Blüte. So ist es der Malerei ergangen. Galt
auch der ganze große Zweig nie als völlig
verdorrt, von seinen vielen kleinen Aestchen
schien manches oft für immer erstorben. Keines
aber so oft, so andauernd und unrettbar wie
das des Schattenrisses, das ohnedies eigentlich
immer nur als ein künstlich aufg^propftes
Reis vom Handwerksstamme angesehen wurde.
Diese Ansicht von Grund auf zu ändern, blieb
dem letzten Menschenalter vorbehalten; und
heute, da wir eine neue Blüte der Silhouette
erleben, zweifelt niemand mehr daran, daß sie
einen echten Stempel der Kunst trägt.

Um kurz in Historie zu übertragen: Der von
Plinius übermittelten Sage gemäß gebar die
Liebe den Schattenriß etwa 600 Jahre v. Chr.
in Korinth, als die schöne Tochter eines Töpfers
das Bild des scheidenden Geliebten festhalten
wollte und die Umrisse seines Schattens zeichnete
. Ob an der Wand, ob im Sande, ist eine
Streitfrage. Daß aber der Gedanke der Malerei
überhaupt an jenem Tage im Schattendunkel
das Licht erblickte, scheint Gewißheit. Alle
primitiven Aeußerungen des Strebens nach
flächenhafter Wiedergabe von Menschen und
Naturerscheinungen, wie wir sie aus dem ersten
Altertume überliefert finden, die lineare Umrißkunst
des alten Aegypten, die Vasenmalerei
Alt- und Großgriechenlands und Etruriens
weisen unverkennbar auf die Sage aus Korinth
hin. Die ob der Greifbarkeit ihrer Formen als
wirklichkeitsverwandter und lebensgetreuer bevorzugte
Bildhauerkunst drängte dann geraume
Zeit die Malerei arg zurück. Aber nicht völlig;
denn sie blieb wenigstens als dekorative Kunst
in den Fresken, und in diesen, zumal in der
Freude an bewegten schwarzen Figürchen auf
rotem Grunde, blieb die Erinnerung an die
Vasenmalerei und den Schattenriß. Das frühe

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