Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 32. Band.1915
Seite: 302
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_32_1915/0366
KUNST, VOLKSMACHT, FREIHEIT

Die Pharaonen bauten; diejuden in Aegypten
karrten Steine, strichen Ziegel, waren
ihre Bausklaven. Von den Vögten angetrieben,
taten sie alle schwere und niedere Arbeit,
wälzten Lasten und brachen fast zusammen
unter dem Uebermaß der Last; aber sie bauten
nicht. Sie waren es, die die Blöcke schichteten
und die Ziegel fugten, aber man sagt
nicht und kann nicht sagen, daß die Monumente
jenes Aegyptens von ihnen stammten. Ihr
Schweiß nur hängt an diesen Mauern, die der
Pharao sich zur Lust und sich zur Größe aufführen
ließ. Er war der Bauherr. Er und seine
Aegypter gaben den Massen ihren Geist, ihre
Form, ihre Gewalt und gaben ihnen damit das
Wesentliche.

Das ist zu erkennen. Es kommt nicht auf
das Quantum der verarbeiteten Steine, der vermalten
Leinwand und des aus Erdlöchern gebrochenen
Marmors an; ein Volk kann in der
Art eine Produktion von gewaltigem Umfang
haben und es kann ihm dabei doch an einer
eigentümlichen Kunst durchaus fehlen. Wohl
nirgends ist das einwandfreier zu erkennen als
an der deutschen Kunst vom Dreißigjährigen
Krieg bis zu den Befreiungskriegen. Nach dem
Zusammenbruch des alten Reiches— und dieser
Zusammenbruch, der äußerlich die Jahreszahl
1806 trägt, war schon da, als in den Religionskämpfen
des 17. Jahrhunderts die deutschen
Stämme sich und ihren Kulturbesitz vernichteten
— lebte Mitteleuropa künstlerisch von den
anderen, den die Macht besitzenden Völkern.
Zwischen dem Simplicius und Klopstock oder
Lessing kann von einer deutschen Literatur
keine Rede sein; was es da gab, sogar die
Abstecher des Philosophen von Sanssouci ins
Poetische waren Widerstrahlungen eines fremden
Kunstgeistes.

Die Zeitenspanne zwischen der Revolution
Luthers und der des Robespierre erscheint wie
kaum eine zweite geeignet, die Gleichzeitigkeit
von politischer und künstlerischer Macht zu
belegen. Weltkunst, das heißt Kunst, wie etwa
die des jüngeren Holbein, die durch die Gewalt
ihrer Wirkungen über die Stadt- und Landesgrenzen
hinausdringt, die spontan die gesamte
Kulturwelt in ihren Bann zwingt, scheint in
dieser Epoche fast ausnahmslos nur da entstehen
zu können, wo der Schaffende aus einem
Volk mit Weltmacht herauswächst. Italien: Rom
und die kaufmännischen Republiken von Florenz
, Venedig, Ferrara, Mailand usw. stand im
16. Jahrhundert im Zenith der Macht. Mit

einem Talent ohnegleichen wurden hier die
Kräfte verausgabt, die in glücklichen Jahrhunderten
angestaut worden waren. Dieses
Italien, so liest man, „marschierte an der Spitze
der Zivilisation. Italienische Generale waren
die Oberbefehlshaber der europäischen Armeen.
Italienische Aerzte wurden bis nach Schottland
und in die Türkei berufen. Italienische Gelehrte
unterrichteten an allen Universitäten
Frankreichs, Deutschlands und Englands. Die
italienische Sprache, noch im 15. Jahrhundert
wenig verbreitet, war die Umgangssprache der
vornehmen Welt geworden." Aus diesem Italien,
diesem Sammelbecken aller weltlichen Größe,
strahlte eine Kunst von ungeheuerem, nie erhörtem
Glanz über die ganze, damalige Menschheit
. Bramante wölbte zum Staunen der Welt
den Florentinern die Kuppel ihres Domes, er
und Michelangelo schufen in St. Peter das
machtvollste Bauwerk, das auf europäischem
Grund sich je erhob. Lionardo, Tizian, Raffael,
Mantegna, Botticelli, die Caracci, Palladio, der
Ariost und Aretino, Talent von allen Arten,
drängte sich da um die kleinen und großen
Höfe. Wer Kunst über das gewöhnliche Maß
der Kleinmeister haben wollte, mußte den
Blick über die Alpen richten. Franz I. von
Frankreich, der den Ehrgeiz hatte, Fontaine-
bleau zu einem „französischen Vatikan" zu
machen, holte sich aus Italien den Leonardo,
den Cellini, ganz zu schweigen von den weniger
Beträchtlichen, den Primaticcio, den
Niccolo dell'Abate und setzte damit die Kunstpolitik
eines Karl VIII. oder Ludwig XII. fort,
die von ihren mailändischen Heerfahrten Künstler
wie den Andrea del Sarto, den Paris Bor-
done und andere mit heimgebracht hatten.
Karl V. ließ sich und seine Töchter bei dem
größten Künstler Venedigs malen und tat damit
auf seine Weise nichts anderes, als was
ein halbes Jahrhundert vor ihm Dürer getan
hatte, wenn er, mit dem Skizzenbuch in der
Hand, sich vor italienischen Bildern nach
Größe sehnte.

Dabei kam Dürer aus jenem Deutschland des
Kaiser Max, das an Zusammenbruch weniger
denn je zu denken brauchte. Eben erst war
ihm von dem letzten der Ritter, von dem Schirmherrn
des bürgerlichen Wohlstandes der „Ewige
Landfriede" beschert worden. Dieses Deutschland
Luthers, das es wagen konnte, gegen
die zerbröckelnde Macht des Papsttums eine
Volksbewegung von beispielloser Gewalt zu
entflammen, das sich vermessen durfte, ein

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