Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 32. Band.1915
Seite: 309
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fast außer Atem, wenn er sich daran macht,
alle die Großen dieser Perikleischen Zeit: die
Herodot, Aeschylus, Sophokles, Phidias usw.
namhaft zu machen.

Man braucht nur das Wort Versailles auszusprechen
, nur an das Rom der Cäsaren, des
Augustus, des Vespasian, Titus, Trajan oder
Hadrian zu erinnern, an das Rom, das das
Theater des Marcellus, den Triumphbogen des
Titus, das Kolosseum, die Trajanssäule, das
Grabmal Hadrians oder das Pantheon entstehen
sah, nur zu vermerken, daß der Schöpfer des
Pyramidentypus kein anderer war als Snofru,
der Gründer der über die Nubier und Beduinen
siegreichen IV. ägyptischen Dynastie, daß das
größte Bauwerk der Welt: die Cheopspyramide
von seinem Nachfolger errichtet worden ist,
und es wird einem nicht verargt werden können,
wenn man in dieser Verflechtung von Kunstblüte
und sieghaftem Volkstum mehr als einen
Zufall zu erblicken wagt. Denkt man daran,
daß das Deutschland Ottos des Großen, das
Deutschland, das auf dem Lechfeld die Gefahr
der Ungarninvasion blutig abwies, auch das
Deutschland der Dome zu Trier, Speier, Hildesheim
und Bamberg ist, daß Walter von der
Vogelweide, Hartmann von der Aue, Wolfram
von Eschenbach Zeitgenossen Friedrich Barbarossas
waren und ist man sich bewußt, daß
das Frankreich, das die Völker zu den Kreuzritterfahrten
entflammte, auch die flammenden
Male der Glaubensinbrunst: die Kathedralen
von Reims, St. Denis, Amiens, Chartres oder
Notre Dame de Paris in den Himmel hinein
wölbte, fürwahr, dann scheint kein Zweifel
mehr denkbar, daß zwischen dem Blut, das
auf den Schlachtfeldern siegreich war und den
in den großen Kunstwerken kreisenden Lebensströmen
geheimnisvolle Beziehungen walten.
Man wagt die (an sich ja ohnehin einleuchtende
) These, daß in der Vergangenheit die
Völker vongewaltiger staatlicherMachtentfaltung
auch die Träger der großen Kunst gewesen sind.

Es liegt nahe aus solcher Erkenntnis für die
Gegenwart und Zukunft Folgerungen zu ziehen ;
aber es wäre leichtfertig, bei solchem pythi-
schen Spiel nun einfach des Glaubens zu leben,
das müsse so sein. Für ein sieghaftes Volk
sei es ein geschichtliches Fatum, mit einer
machtvollen Kunstentfaltung aufzuwarten. Fast
möchte man sagen, das Gegenteil sei auch
richtig. Die Römer haben die Griechen in
der Weltherrschaft abgelöst, aber in Dingen
der Kunst und der Kultur haben sie sich ihnen
unterstellt, haben sie sie als Lehrmeister angenommen
, wie es auch die Germanen taten,
die mit den Waffen, mit ihrer jungen physi-'
sehen Kraft über das alte Rom triumphierten

und die sich doch den künstlerischen Werten
nicht entziehen konnten, die der unterlegene
Gegner in seinem Ueberfluß ihnen zu bieten
hatte. Und war das nicht auch nach 1870 unsere
Situation gegenüber dem unterlegenen Frankreich
? Es läßt sich nicht abstreiten, trotz
Liliencron ist das Zolasche Debacle das stärkste
literarische Dokument, das aus diesem Krieg
hervorgegangen ist. In Balzac, in Flaubert,
in Zola und Maupassant entwickelte das geschlagene
Frankreich eine Schule des Realismus
, die unser Jung-Deutschland befruchtete
und die französische Malerei von Delacroix
bis zu Manet, Monet und Cezanne entwickelte
sich so geruhig, so folgerichtig, als ob es den
dazwischen liegenden nationalen Zusammenbruch
nie gegeben hätte. Andererseits ergibt
die gewaltigste aller Machtenfaltungen, die
Napoleons I. für Frankreich eher einen Verlust
als künstlerischen Gewinn. Ingres und Delacroix
, die malerischen Repräsentanten des
Bürgerkönigtums, haben gegenüber den David
und Delaroche die größte Mühe, die Fühler
wieder auszustrecken nach der großen Linie
der klassischen französischen Malerei, die man
bis zu Poussin zurückverfolgen zu können
vermeint und die mit Fragonard und Chardin
jäh abgebrochen scheint. Diese Aera Napoleons
ist wie das gewaltige Reich Karls des
Großen, wie das Rußland Peters des Großen
künstlerisch fast ohne Folgen geblieben. Und
wenn man einwendend auf die kulturelle Unentwickeltheit
dieser beiden oder auf den allzu
kurzen Bestand jenes Imperiums verweist, so
bliebe immer noch England, das nach der Vernichtung
der Armada, nach den Erfolgen über
die Niederländer und die Franzosen an Ländern
bis zur Unermeßlichkeit anschwoll, aber
trotz der Jahrhunderte des Wohlstandes und
des friedlichen Gedeihens, die es hinter sich
hat, in der Kunst eigentlich immer unproduktiv
geblieben ist. Seine Handwerksmeister : die
Gainsborough, Reynolds, Romney sind wie
seine Präraffaeliten des 19. Jahrhunderts im
höheren Sinne doch ohne Belang.

Eine der Erklärungen, die nahe lägen, wäre
die Beobachtung, daß eine Unsicherheit in
dieses Verhältnis zwischen Kunst und Volksmacht
erst in unserem modernen, bürgerlichen
und kapitalistischen Zeitalter zu kommen scheint.
Die vorbürgerliche und vorkapitalistische Welt
kennt derlei Zwiespälte nicht. Da war die Kunst
nicht Einzel-, sondern Allgemeingut, was aber
nicht so aufzufassen ist, als ob das Volk die
Kunst gehabt hätte. Die Auftraggeber und in
gewissem Sinne auch die Inspiratoren der
Künstler waren die Großen, die geistlichen und
weltlichen Würdenträger, die zwar nicht für

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