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von den marktgängigen Arbeiten des Impressionismus
durch eine ganz ungewöhnliche Klarheit
im Aufbau ab. Selbst auf dem berühmten
Bild mit den schnatternden Gänsen, die in
lastender Hochsommersonne flügelschlagend
die helle, stauberfüllte Landstraße herunterziehen
, hat Schramm die Klarheit des Aufbaus
den impressionistischen Einzelheiten des Ausdrucks
nirgends aufgeopfert. Dieser Tatsache
gegenüber von einem Kompromiß zu sprechen,
wäre in hohem Grade ungerecht. Schramm-
Zittau fand sich nicht „aus praktischen Erwägungen
" mit den Tatsachen ab. Seine künstlerische
Ausdrucksweise ist das Ergebnis eines
harten Kampfes. Mit den Vielzuvielen, die
„für den Publikumsgebrauch" die gemäßigte
Form einer herrschenden Richtung zurechtmachen
und dabei meist recht gut abschneiden
(wirtschaftlich natürlich!), hat er ganz und
gar nichts zu tun.
Das sichtbare Ergebnis dieser kämpferischen
Entwicklung war die Befreiung von dem übermächtigen
Einfluß Zügels. Wohlverstanden:
Schramm-Zittau verleugnet auch heute seinen
Meister nicht. Aber Schramm hatte in entscheidender
Stunde selbst sehen und gehen gelernt
, schaute fortan nicht mehr durch die Brille
der Zügel-Schule in die Welt, stellte seine Palette
nicht mehr nach dem Rezept der Zügel-
Schule zusammen, fand seinen eigenen Ausdruck
für den Luftton und folgte eigenen Gesetzen
in der Art, wie er das Licht über seinen
Bildern zerstreute. Vor allem: war strenger, geschlossener
, ich möchte sagen: plastischer geworden
in der Anschauung der Formen. Das
wird einem besonders bewußt, wenn man eine
Zeichnung Schramms neben eine Zeichnung
Zügels hält. Gegenüber solchen Bleistiftnotizen
, in denen die zukünftigen Bilder keimhaft
schlummern, vermag der in den Gemälden
selbst vielleicht weniger stark zutage tretende
Unterschied in der künstlerischen Grundanschauung
und Auffassung der beiden Künstler
deutlich erkannt zu werden. Zügels Zeichnungen
sind ganz in malerischer Kohlemanier
gehalten, bildhaft, oft fast dekorativ zu nennen
. Schramms Zeichnungen geben häufig
nichts anderes als die Umrißlinie. Das sind
rasch hingesetzte Notizen. Es ist etwas in
ihnen, das an die Zeichnungen der Plastiker
erinnert, die von vornherein das Körperhafte,
das Kubische oder Runde stark betonen, denen
die Silhouette, die Silhouette von allen Seiten
und mit allen ihren Wirkungsmöglichkeiten, bei
weitem wichtiger ist als der malerische Eindruck
, der bei der Zeichnung durch die flächenhafte
Behandlung eines Motivs und durch
die Austeilung der Licht- und Schattenpartien
hervorgerufen wird. Schramm betont immer
wieder, ihm seien die Zeichnungen nur Mittel
zum Zweck. Er will sie nicht um ihrer selbst
willen gelten lassen. Er zeichnet indessen ohne
Unterlaß, um mit der Form der Dinge völlig
ins Reine zu kommen. Er ist der seltsamste
Impressionist, den man sich denken mag: er
muß eine Form von Grund auf kennen — dann
erst hält er sich für berechtigt, sie im Interesse
der Licht- und Farbenwirkung gelegentlich
zu zerbrechen. Es ist übrigens interessant,
daß Schramm-Zittau seine heimliche Liebe für
die Plastik (eine völlig unimpressionistische
Liebe) auch schöpferisch dokumentierte. Er
modellierte vor einigen Jahren einen „Brunftenden
Hirsch" und ließ ihn in Erz gießen.
Es ist ein Werk, durch das ein Zug von Monumentalität
geht. Es ist unendlich fein und andächtig
studiert, und das Tier ist glücklich in
die Erscheinung gebracht, dabei nirgends ängstlich
und vorsichtig, wie es bei einem vortastenden
Versuch in ein fremdes Kunstgebiet
sonst wohl zu sein pflegt, sondern geradezu ein
künstlerischer Temperamentsausbruch. Diese
plastische Arbeit blieb bis heute im Werk
Schramms eine isolierte Erscheinung, aber
ihre Bedeutung für die Entwicklung auch des
Malers Schramm ist unverkennbar. Man vergegenwärtige
sich nur, daß es für Zügel doch
geradezu unmöglich gewesen wäre, als Vierzigjähriger
eine Plastik zu schaffen: damit wäre
der Münchner Impressionismus zu Scherben
geschlagen gewesen.
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Nach alldem ist es vielleicht nicht ganz bedeutungslos
, über den Inhalt und die Motive
der Bilder Schramms ein paar Worte zu
sagen. Der Impressionismus reinster Observanz
beschränkt sich thematisch auf die paar
Stoffe, die von den Führern der Richtung in
ihren Hauptwerken gegeben wurden: sei es
nun — nach Liebermann — der Wirtsgarten
mit den Sonnenkringeln und die Reiter in den
Dünen oder — nach Zügel — ein Paar sonnenüberstrahlter
Ochsen auf herbstrotem Moorgrund
und Ziegen auf der Heide. Es ist ganz zweifellos
, daß der Impressionismus bei seiner Geringschätzung
des Stofflichen und Gleichgültigkeit
gegenüber jeder Vergeistigung eine Verarmung
der deutschen Kunst zur Folge haben
mußte. Das darf man eingestehen, auch wenn
man — oder: gerade weil man - - weiß, welche
Bereicherung des Ausdrucks die Malerei dem
Impressionismus verdankt, und wie er ihr ganz
ungeahnte Möglichkeiten auftat.
Ich erwähnte, daß Schramm-Zittau in seinen
Anfängen stofflich den Bahnen Zügels folgte.
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