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ADOLF STÄBLI
Släblistube, Bmg^
KRUZIFIX AM WEGE
Sonnenschein und Sturm, Regen und Ueber-
schwemmung wußte er zu Bildern zu gestalten,
die alles hergaben und darüber, was von diesen
Stimmungen der Natur erwartet werden kann.
Den Geheimnissen der Luft ging er mit sensibelstem
Spürsinn nach. Das Licht und seine Wunder
hat er nicht nur studiert, sondern gewissermaßen
erfühlt und meisterhaft auf seine Bilder gebracht
. Das Odium des Kitsches, das bis dahin
die Darstellungen der untergehenden Sonne
umgab, hat er eliminiert. Die Natur in allen
ihren Regungen war seine Herrin, aber er war
nicht ihr Sklave. Denn er ließ sich wohl von ihr
beherrschen, aber er gehorchte ihr nicht kritiklos
. Er besaß in seiner Kunst ein Instrument,
das er sich wohl von der Natur stimmen ließ,
aber selbst spielte. Will sagen: er stilisierte auf
seine zarte, schwärmerische und doch zurückhaltende
Art die Natur, er „übersetzte" mit
Bedacht, ließ die schlanken, schwanken Birken
in der Abendluft um ein weniges zu ängstlich
zittern, malte den Maitag noch holdseliger, den
Augustnachmittag noch drückender, das heraufziehende
Gewitter noch finsterer, als es die
Natur tut. Aber er überzeugte mit diesen Zuspitzungen
; wie sehr ihm das gelang, dafür mag
sein Ueberschwemmungsbild in der Neuen
Pinakothek in München zeugen, das in seiner
Art bei dem Beschauer ähnliche Stimmungen
und feierliche Gefühle auslöst wie Böcklins
„Villa am Meer". ,
In allem ernsthaft Gemeinten war Stäbli
Landschafter. Aus früher Akademikerzeit
stammt ein Selbstbildnis, das ebenso fremd
in Stäblis Werk steht, wie das kleine Blumenstilleben
, das er 1879, mit gebrochenem Fuß
im Spital liegend, in seinem Krankenstuhl
malte. Wir bedauern die fehlende Mannigfaltigkeit
nicht, im Gegenteil; wir müssen uns
der Geschlossenheit von Stäblis Lebensarbeit
freuen: er war auch in dieser Hinsicht ein
Ganzer, ein Elementarer. Zugestanden: auf
seinem Instrument waren nur wenige Saiten,
aber was tut das, wenn der, der sie zum
schwingen und klingen bringt, ein Meister
dieses Instrumentes ist ?
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