Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 35. Band.1917
Seite: 322
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_35_1917/0364
Hamburg verlegt. Gleichwohl gab es eine
Zeit, in der er als wortführender Künstler
hier mehr als in Berlin selbst zu Hause war.
Aber auch Graf Kalckreuth umzog vorerst
prüfend in weiten Kreisen die lockende Seestadt
, bevor er sich zur völligen Seßhaftigkeit
entschloß. Und als er es tat, fiel seine Wahl
auch nicht auf Hamburg selbst, von dem
ihm wohl bekannt sein mochte, daß es im
Durchschnitt um eine Stunde weniger Sonne
im Tage erhält als irgend eine andere Stadt
des deutschen Nordens. Er entschied sich
für das Heidedorf Eddelsen, das nahe genug
an Hamburg heranliegt, um dieses leicht erreichen
zu lassen und das überdies mit dem
Vorzug einer größeren Luftreinheit und Helligkeit
auch den Reiz eines von großen und
prachtvoll gewellten Bodenlinien durchzogenen
Rundbildes verbindet.

Inmitten dieser ernsten und schwermütigen
Landschaft hat Graf Kalckreuth i.J. 1907 als
sein eigener Architekt sein die Mitte zwischen
bürgerlichem Wohn- und herrschaftlichem
Jagdhaus haltendes Heim errichtet. Hier findet
er an der Seite einer dem schlesischen Hochadel
entstammenden Gattin, die für die nicht
immer leichten Schwingungen der Künstlerseele
ein liebevolles und mitgehendes Verständnis
besitzt, jene Entspannung und Erholung
, deren der schaffende Künstler um so
gewisser bedarf, je tiefer er von dem Ernst
seiner Aufgabe durchdrungen ist. Die Wege
der Entwicklung, die Graf Kalckreuth bis zu
seiner Berufung als Lehrer und Leiter der
Kunstschulen Weimar, Karlsruhe, Stuttgart
und weiterhin bis zu dem Inslebentreten des
durch ihn mitgeschaffenen deutschen Künstlerbundes
genommen, sind gelegentlich seines
sechzigsten Geburtstages im vorigen Jahre
auch in diesen Blättern besprochen worden,
so daß wir uns ein neuerliches Eingehen
darauf erlassen können. Nur in Kürze sei erwähnt
, daß nach Erhalt der ersten Anleitungen
durch seinen Vater, Graf Stanislaus
von Kalckreuth, seine erste Einführung in die
Kunst (1876—79) durch den von seinem Vater
nach Weimar berufenen Belgier Struis erfolgte,
einem richtigen Bohemien der alten Schule,
der seine Tätigkeit als Lehrer und Künstler
zwar täglich nur auf eine Mittagsstunde zusammendrängte
, aber innerhalb dieser einen
Stunde an echter Kunst mehr hergab, als
andere in Tagen und Wochen. Im Jahre 1879
ging Graf Kalckreuth nach München, wo
der Reihe nach Piloty, Benczur und Diez
seine Ratgeber und Lehrer wurden, was aber
nicht hinderte, daß er die stärksten und reichsten
Anregungen aus dem Umgang mit Len-

bach gewann, der in seinen leicht hingestreuten
Bemerkungen schon durch seine urwüchsige
Art zur Erweckung der künstlerischen Individualität
Kalkreuths mehr beitrug, als die vorgenannten
drei Lehrer zusammen.

Die neuere Kunst in Hamburg seit Licht-
warck hat in mancherlei fieberhaften Zickzackbewegungen
eine unruhevolle, von Entgleisungen
nicht freie Bahn durchlaufen. Da mußte
ein Künstler von der Art Kalckreuths, der von
der zeichnerischen Linie als dem A und O des
künstlerischen Schaffens ausging, vorbildlichen
Wert erlangen. Den hat er denn auch durch die
Sprache seiner Werke erworben, obwohl er eine
eigentliche Lehrtätigkeit hier nicht ausgeübt
hat. Die Wertschätzung der reinen Form hat
aus dem Künstler keinen Asketen oder Gegner
der Farbe gemacht. Er kennt den Reiz ihrer
Sprache sehr gut und ist auch dort, wo es
angeht, und er keine Gefahr läuft, dadurch
zum Sinn oder Gegenstand seiner Darstellung,
und vor allem zu jener ganz persönlichen
Stimmung, die er auch im Bilde festzuhalten
wünscht, in Widerspruch zu geraten, durchaus
nicht dagegen, selbst hellste Töne und
Lichter anzubringen. Nur daß er es stets
abgelehnt hat, mit den Anhängern der verschiedenen
„ismen" gemeinsame Sache zu
machen. „Aus einer Summe von Eindrücken
den Eindruck herauskristallisieren, der wert
ist, im Bilde festgehalten zu werden," — so
wertet Graf Kalckreuth die Impression als
Kunstmittel, wie es die großen Alten ja auch
getan haben, und er fügt hinzu: „Sie (die
Alten) ließen eine Summe von Impressionen
solange auf sich wirken, bis sie sich in ihrem
Kopfe (sie brachten sie nicht einmal zu Papier)
zu der bildgemäßen Impression verbunden
hatten, die ihnen wert schien des Gestaltens.
Unsere Impressionisten machen es gerade
umgekehrt, für die ist jede Impression ein
fertiges Bild."

Vielleicht mehr noch als in seinen Gemälden
, in denen doch immer zuletzt die Farbe
den Maßstab abgibt für die Beurteilung, tritt
in seinen Radierungen der große Respekt des
Künstlers vor den zeichnerischen Linien zutage
. Von diesen Blättern, die er nicht
selten durch ganze Reihenfolgen überarbeitet,
um sie dahin zu bringen, wo er sie haben
will (was z. B. bei der Porträt-Radierung des
Großindustriellen H. erst beim siebzehnten
Zustand der Fall war), wirkt jedes als lebendiger
Beleg zu jenem Klingerschen Wort,
nach dem die Zeichnung der Fantasie des
Beschauers einen ausreichenden Spielraum
bieten solle, das Dargestellte farbig zu ergänzen
. Auf die Gefahr des Mißverstanden-

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