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aber kein Archaisieren, sondern eine aus
innerer Verwandtschaft und früher Gewöhnung
gewonnene Beziehung: schon den jungen
Geibel interessierten die Plastiken des
Freiburger Domes, den Aelteren zogen die
Bamberger Skulpturen an. Rein und hoheitsvoll
prägt sich das miterlebende Leid in die
edel herben Züge.
„Michaelsbrunnen", 70 cm hoher Bleiguß
auf einer Brunnensäule (Abb. S. 437). Hier
wird das Grundmotiv des eben besprochenen
Kopfes auf die ganze Gestalt übertragen und
durch die Handlung der Gedanke des gerechten
Kampfes hereingebracht. Der dekorative Aufbau
wirkt sicher und geschlossen, er ist von
feinem ornamentalem Reiz. Besonders geschickt
ist die Ueberleitung vom Kapital zur
Statue, durch den geringelten Schweif und
Hals des Drachen; das Zusammengehen der
Vertikale in der Figur und Säule ergibt die
tektonische Einheit.
„Göttin" — Gipsmodell — 70 cm, alsEntwurf
für eine Gartenplastik (Abb. S. 435). Die freie
Entfaltung des schönen Körpers, seine innere
und äußere Ruhe, geben eine edle Darstellung
der großen und stillen Natur. In Verbindung
mit Blumenbeeten oder Wasser könnte das
Werk überaus stimmungsvoll wirken.
Der „Kniende Jüngling" (Abb. S. 434) stellt
sich das Problem, den Raum nach seinen
drei Dimensionen sinnenfällig zu machen. So
erstreckt sich von der senkrechten Achse des
Rumpfes der rechte Oberschenkel nach vorne,
der linke Unterschenkel nach hinten, die Ellenbogen
bilden mit den Kniegelenken eine ideale
Fläche, in die der Leib im wesentlichen eingebettet
erscheint. Durch die rückwärts greifenden
Oberarme kommt der Kopf zu einer
leichten Tiefenbewegung und klingt die nach
ihm drängende Bewegung wie in einer schalenmäßigen
Weitung aus. Mit dem Hintüberbeugen
einigt sich eine schmerzliche Sehnsucht nach
dem vollen Erwachen.
Die „Kauernde" (Abb. S. 439) ist ein Beispiel
für weitgehendste Vereinfachung der
Körperformen. Sie ist aus dem Ton hohl
heraus und aufmodelliert, wodurch sie eine
allseitige Rundung gewann, obwohl wesentlich
auf Vorderansicht gearbeitet. Trotz der kubischen
Geschlossenheit lösen sich alle Hauptteile
klar aus der Gesamtform; geschickt und
wohlig schließen sich die Extremitäten um
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