http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_37_1918/0366
emil anner
das feld von flinckow
DER RADIERER EMIL ANNER
Der Künstler unserer Zeit, der etwas auf
sich hält, ist meist in einer wenig beneidenswerten
Lage. Je mehr er zu sich selber
strebt, sein Eigenstes entwickelt, seine Sprache
zu sprechen beginnt, sich auf die ihm angeborene
Art verständlich machen will, um so
mehr rückt die Welt von ihm ab, lassen ihn
die Richtungen, die den Tag beherrschen, seitwärts
stehen, vollzieht sich seine künstlerische
Entwicklung in einem meist nur kleinen Kreise
von Freunden und gleichgestimmten Seelen,
und der anfeuernde Erfolg fehlt oft gänzlich.
Denn der wirkliche Künstler, der immer ein
Individualist, ein Unzerteilter ist, geht den
Weg, der nach dem Polarstern seines innersten
Wesens gerichtet ist. Er kümmert sich nicht
um die täglich und stündlich sich verändernden
Richtungen der Wandelsterne, die, um
ihre eigene Achse wirbelnd, bewußt und unbewußt
sich um die Sonnen drehen, von denen
ihr Wandern und Wandeln Licht, Richtung
und Gedeihen empfängt — das Gedeihen der
Zeit und ihres kurzen Tages. Unveränderlich
aber glänzt der Polarstern eines echten Künstlers
durch die Zeiten und Räume. Aus dem
wirren Gestöhne der Tageskämpfe um sie herum
erhebt sich ihr Leben und ihr Werk wie eine
stolze und heldische Melodie über das bewegliche
Gefüge und Geschiebe der Begleitakkorde.
Sie bleiben; denn sie werden, wie ein Lied
aus dem Munde der Geliebten, im Herzen
bewahrt, wenn die Tonfülle längst verrauscht ist.
Aehnliche Gedankengänge lassen sich entwickeln
, wenn man eine Folge von Radierungen
von Emil Anner vor dem Auge — und
dem Herzen — vorüberziehen läßt. Wer kennt
im Deutschland der Kunsterziehungskongresse,
der organisierten Einbürgerung von Kunst, wo
fast jede Eintagsfliege der Kunst ihr Plätzchen
an der Sonne findet, diesen Namen? Allerdings
ist Anner ein deutscher Schweizer, ein stiller,
besinnlicher Alemanne, einer, der keinen Lärm
macht. Er, mit seinem großen, sonnighellen
Auge, mit der feinen Hand und dem über-
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