http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_38_1918/0364
tisch zu machen, weil nur aus dem ästhetischen
, nicht aber aus dem physischen Zustande
der moralische sich entwickeln kann."
„Der unausbleibliche Effekt des Schönen ist
Freiheit von Leidenschaften", sagt er an einer
anderen Stelle. Und weiter: „Der Geschmack
bringt eine harmonische Einheit in die Gesellschaft
, weil er eine harmonische Einheit im
Individuum stiftet". Zusammenfassend drückt
er sich aus: „Die ästhetische Kultur halte ich
für das wirksamste Instrument der Charakterbildung
."
Zur Erlangung einer höheren Beherrschung
der Form ist es nicht nur nötig, das Streben
des einzelnen auf die Form hinzulenken, ihre
Berücksichtigung in seinem häuslichen wie
in seinem Berufsleben zu fördern, sondern vor
allem auch in jeder Art von Gemeinwesen,
in Gemeinde und Staat dem Verständnis für
die Form zum Durchbruch zu verhelfen.
Die rein schulmäßige Erziehung des Volkes
zur Form bildet dabei eine Aufgabe für sich.
Sie ist in Deutschland mutig in Angriff genommen
, und man kann im allgemeinen nicht
an dem guten Willen zweifeln, sie tatkräftig
zu betreiben. Ohne auf diese Aufgabe hier
eingehen zu wollen, sei nur auf die vorläufig
noch recht schwierige Frage im Vorbeigehen
hingewiesen: wer der Erzieher sein soll. Wenn
auf den vor 15 Jahren abgehaltenen Kunsterziehungstagen
mit fliegenden Fahnen die künstlerische
Erziehung der Jugend, und zwar schon
in der Volksschule, in Angriff genommen werden
sollte, so wurde damals vielfach übersehen,
daß rein lehrplanmäßige Festsetzungen nicht
viel helfen. Ein Kunstunterricht von Seiten
Unkünstlerischer ist schlimmer als gar keiner.
Hier läßt sich verstandesmäßig nichts erreichen
; die Form muß gefühlt werden. Nur aus
dem Bestände dessen, was ein Volk schon besitzt
, kann dessen Jugend beeinflußt werden.
Wenn die hoffnungsvollsten Geschmackserzieher
in den letzten 20 Jahren die Kunstgewerbeschulen
gewesen sind, aus denen sich ein
Quell frischen Lebens in die Allgemeinheit
ergossen hat, so kommt das daher, daß hier die
Erziehung auf dem Boden des Handwerklichen
geschah, das stets der wahre Untergrund jeder
Kunst bleiben wird. Nur die Betätigung am
Werk erzieht, nicht das Gedankenturnen in
den Lüften. Deshalb sind Handfertigkeitsunterricht
und Zeichnen geeignetere Erziehungsmittel
als die so lange ohne Erfolg in Deutschland
gepflegten kunsgeschichtlichen Vorträge.
Aber vertrauen wir nicht zu sehr auf die
Schule, suchen wir vor allem im Leben die
AUS AMERIKANISCHEN GÄRTEN: SPIRAEENBOSCHE ALS WEGEINFASSUNG
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