Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 39. Band.1919
Seite: 328
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KARL THYLMANN f

Echte Kunst ist eines Liebenden Kunst. Der
solche Kunst treibt, dem erscheint, da er
ein Ding der Welt erlebt, die heimliche Gestalt
des Dinges, die keinem vor ihm erschien, und
auch er sieht sie nicht, sondern er fühlt ihren
Umriß mit seinen Gliedern, und ein Herz
schlägt an seinem Herzen. So lernt er die Herrlichkeit
der Dinge, daß er sie sage und lobpreise
und die Gestalt den Menschen offenbare."*) So
ist Karl Thylmann allen Geschöpfen der Erde
zugetan. Der Baum, der verlangend die Arme
zum Himmel reckt, der Stein am Wege, der
Vogel, die wandelnden Wolken in der Luft —
sie alle liebt er mit der keuschen umfassenden
Liebe des Heiligen, der noch im unscheinbarsten
Ding das Walten des Göttlichen sieht.
Nichts ist ihm toter Stoff, nichts ist ihm fremd.
Er lauscht dem Herzschlag der Natur wie die
Mutter, die sich sorglich über das schlummernde
Kindlein beugt. Seine Kunst ist eines Liebenden
Kunst. Sie kommt aus dem tiefsten Herzen
und ist ein Zwiesprachhalten mit dem Göttlichen
. Er fühlt die ganze Welt im eigenen Ich,
in der Versenkung in die eigene Seele: Für ihn
gibt es kein Drinnen und Draußen, kein
Fremd und kein Vertraut; denn ihn beseelt der
unerschütterliche Glaube an die vollkommene
Einheit von Mensch und Welt, der Glaube
an den Geist, der unteilbar und unwandelbar
alle Geschöpfe der Erde und das ganze All erhält
und trägt.

Wer so im Innern gläubig ist, dem kann die
Kunst nur ernst und heilig sein wie ein Gebet.
Der kann nicht mit dem äußerlichen Reiz der

*) Martin Bube. Ereignisse und Begegnungen. (S. 33.)
Inselverlag, Leipzig igi7.

Sichtbarkeiten sich begnügen, der hascht nicht
nach der flüchtigen Stimmung des Moments,
der schnellen Geste, die im Augenblick verklingt
— wer liebt, der wirbt um der Geschöpfe
Wesen, der freit um ihre verborgene Herrlichkeit
.

Karl Thylmanns Zeichnen ist ein Reden mit
den Dingen, ein Sichversenken in ihr Los. Er
gleicht im Wesen dem heiligen Franziskus von
Assisi, der den Vögeln predigte, der die Waldtauben
zähmte und zu den Fischen sprach. Wie
jener sah er seine Geschwister in jeglicher Kreatur
. Die Freunde hatten den Künstler erkannt,
als sie ihn „Bruder der Bäume" nannten. Auf
den Wegen, die einst der liebenswerte Heilige
geschritten, hat Thylmann seine ersten wesentlichen
Blätter geschaffen.

Die graphischen Arbeiten, die er ign auf
seiner Reise durch Italien entstehen ließ, zeigen
noch die Befangenheit und Ängstlichkeit des
Suchenden, aber in der altmeisterlichen Freude
an der Schilderung auch der kleinsten Einzelheit
, in der reinen Ergriffenheit dieses sorgsamen
Bemühens, dem alle schnelle und billige
Mache verhaßt, in der Keuschheit seiner Naturanschauung
grüßte uns der Geistesverwandte
eines Fra Angelico, ein Gottessucher von der
frommen Lieblichkeit Stephan Lochners. Mit
beiden hat er die Demut gemein und die Reinheit
des Herzens. Beiden ähnelt er in dem
künstlerischen Temperament, das ahnend neue
Wege schaut, ohne doch das Alte rücksichtslos
der neuen Schönheit opfern zu können. Er
gehört nicht zu den berserkerhaften Stürmern,
die mit Explosionen dem Neuen die Wege bahnen
. Wie der Meister von Köln und der fromme
Frate schafft er in der Stille, unbekümmert um

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