http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_41_1920/0175
WILHELM LEHMBRUCK
In werdenden Zeiten ist das Glück der Persönlichkeit
kein ungetrübtes. Sehnen und
Wollen nach neuen Werten hemmen den freien
Fluß des Gestaltens. Wo die Aufgaben des Tages
keine Symbole der Zeit mehr auszulösen vermögen
, ergreift ein ruheloses Suchen den Gestaltungswillen
. Wollen und nicht wissen was,
das ist die Tragik. Wollen aber, das geht nicht
auf das Was, sondern auf das Wie. Mögen
auch die inneren Gesichte noch so reich auftreten
, daß sie die Initiative zur Form ergreifen,
heißt Schaffen. Schwerer als die Malerei ringt
hier die Bildhauerei, schwerer trägt sie ihr Schicksal
, umfangen von der Last der Tradition und
den Aufgaben der Konvention.
Als Wilhelm Lehmbruck, 38jährig des hohen
Strebens müde, Leben und Werk freiwillig aufgab
, zerbrach nicht ein Zweifel am Glauben
als vielmehr die Kraft des Vermögens. In langer
Schularbeit werktüchtig erzogen und fest
dem gegenüber, das die Mittel dem Stilwollen
leihen, führte ein längerer Pariser Aufenthalt
unterirdische Gänge ins Freie des eigenen Erlebens
. In acht Jahren drängen sich die Werke
oft hart nebeneinander. Doch reißt sie weder
ein eiferndes Talent noch eine glückliche Lust
zur Form empor. Ein quälender Stilwille kämpft
um die große Form für seine Visionen, deren
reine Tiefe die reine Form verlangt. Man denkt
an Feuerbach. Auch Lehmbruck muß etwas
Die Kunst für Alle XXXV.
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