Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 41. Band.1920
Seite: 148
(PDF, 126 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_41_1920/0178
wie eine Mission in sich gefühlt haben. Auch
er hatte eine Konvention zu brechen, eine Gleichgültigkeit
gegen den Stilwillen zu bekämpfen.
Still in sich gekehrt, schweigsam und hingebend
in der Vision, schaut er immer klarer
die reine Form der Seele. Mit Feuerbach teilt er
psychologisch auch das Überwiegen der Reflexion
. Zu sensitiv, um mit willensstarker Freude
dem Ideal zu vertrauen, formt er mit bedenklicher
Hand seinen Formenkanon. Doch gerade
hierin offenbart sich die hohe Reinheit seines
Willens. Nicht eilfertig erzwang er für seine
Visionen ein kunstgewerblich wohl ausgeglichenes
Klischee von Körperformen, wie die Viel-
zuvielen neben ihm, die schnell mit dem Stil
fertig waren.

Seine Menschen stammen aus einer Atmosphäre
, in der die Urform der reinen Seele lebt.
Als Erinnerung durchglüht diese die Formen
des Körpers. Daß er dieses Leuchten meist
mit seinem sensitiven Naturell schmerzlich
empfindet, macht ihn zu einem Romantiker!
So steht auch im Mittelpunkt seiner Gestaltung
das weibliche Ideal. Er sucht etwas zu
bilden, das sich selbst der Bildung entzieht und
seinem Stilwillen ein nie ruhendes Ziel steckt.
Es galt die Materie zu bilden und zugleich zu
überwinden ; zu überwinden durch die Rhythmik
der Linien, in der allein die Musik seiner Seele
sich offenbaren konnte. Der Körper wurde
Symbol für etwas Unsichtbares. Hierin liegt
seine Annäherung an die Gotik.

Überblickt man die Reihe seiner weiblichen
Gestalten, erkennt man deutlich die Motivlosig-
keit der Handlung, in der allein geistiges Wesen
sich offenbaren kann. Ohne eine bestimmt
fixierte Ausdrucksgeste, in der sich eine sogenannte
moderne „Ausdrucksplastik" gefiel, nicht
in der persönlichen Haltung einer charakteristischen
Situation, sondern in einem durchgefühlten
Körperrhythmus zieht das geistige Wesen
seine Kurven um die Materie. Die rhythmische
Einheit im Gefühl des Ganzen und nicht die
„ausdrucksvolle" Komposition sogenannter plastischer
Motive macht den wahren Plastiker
aus. Nicht individuell fixierte Charakternoten,
sondern rhythmische Sphären seelischer Mächte
symbolisieren seine Gestalten. So sind seine
„Kniende", seine „Sinnende", seine „Rückblik-
kende", seine „Betende" zusammen Schwestern
aus einem Reich, das nacheinander sich in Wirklichkeiten
gebricht. Und aus dieser Auffassung
ist auch nur der Wechsel ihrer Formen und Proportionen
zu verstehen. Daß sein Stilwille jedesmal
neu das „plastische Gesicht" zu formen
strebte, stellt ihn turmhoch über die „Stilisten".
Knieen und Rückblicken stammen aus verschiedenen
Sphären des geistigen Wesens und erfordern
für ihre Gestaltung andere Daseinsformen
. Sie blieben Motive und nicht Gestaltungen
, wären sie in einen Formenkanon eingeschlossen
. Noch reicher ist der Wechsel und
die subtile Nuancierung seelischer Zustände in
seinen weiblichen Büsten. Es gibt hier Ausformungen
der Seele bis zur Deformation, als
Tendenz das Körperliche ganz zu überwinden.
Wie ein Hauch umzieht oft die Außenlinie
die Gestalt, nicht wagend die Aktion der Gelenke
mißtönend in die reine Melodik der Umrißlinien
eingreifen zu lassen. Und in demselben
Sinne gebietet er der modellierenden
Fläche zurückzugehen auf den Hauch der Modellierung
, in der er mit Leonardo die Seele
der Form erblickt haben mag. Er wird hier
zum Maler, der aus dem Impressionismus Ro-
dins das Wesentliche erfaßt hat, während seine
Linienrhythmik dem neuen Erleben in der Kunst
angehört. Durch den ondulierenden Fluß seiner
Flächen entströmt ihnen zugleich ein sinnlicher
Reiz, der fern den suggestiven prickelnden Reizen
virtuoser Technik, vielmehr der Klangfarbe eines
Tones zu vergleichen ist.

Man hat keine erschöpfende Vorstellung vom
Künstler Lehmbruck, wenn man nicht den Radierer
kennt. In der Radierung sucht er sich von
der reflektiven Note loszuringen. Hier tritt die
Psyche des Weibes auch aktiv auf. Die in eine
leise Dämmerung zurücktretenden Gefühle brechen
hier zur wilden Dämonie aus dem Körper
hervor. Hier tritt auch der Mann häufiger
auf, der in seiner Plastik äußerst selten ist.
Aber der lebensgroßen Statue des „Emporsteigenden
Jünglings" ist ein Selbstporträt einbeschlossen
, das nicht die naturalistischen Züge
seiner zufälligen persönlichen Ausformung in
dieser Welt trägt, sondern den ganzen Habitus
seiner geistigen künstlerischen Existenz trägt
und somit vom Selbstporträt zum Selbstbekenntnis
aufsteigt. Vergleicht man ihn mit dem
„Eh ernen Zeitalter" Rodins, fühlt man deutlich
den Gegensatz der Generation, fühlt man die Gestaltung
aus dem Essentiellen heraus. Es ist
seine einzige aktive Figur. Wille spannt unbewußt
die Glieder, Schreiten wird unbewußt
zum Ausdruck des ringenden Wesens, reflektiv
ist Kopf und Hand; ein Symbol seiner Kunst.

W. Kurth

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