Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 41. Band.1920
Seite: 256
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_41_1920/0294
der Alpen bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts,
über die Entwicklung der Perspektive in Oberitalien
und über die Perspektive nördlich der
Alpen bis Dürer. Die deutschen Maler Pley-
denwurff, Wohlgemut, Schongauer, Holbein
der Ältere und Pacher geben ihre perspektivischen
Raumdarstellungen lediglich nach dem
Gefühl — sie sind aber oft große Naturbeobachter
und arbeiten so, daß ihre Gefühlsperspektiven
den konstruierten Darstellungen oft
sehr nahe sind. Der erste literarische Aufschluß
diesseits der Alpen ist das Werk eines
französischen Geistlichen, Jean Pelerin, genannt
Viator, am Anfang des 16. Jahrhunderts. Er
ist wahrscheinlich in Italien gewesen und schrieb
mit 60 Jahren sein Werk: De artificiali per-
spektiva, Toul, 1505. Er kannte das Wesen
des Horizontes und die Bedeutung der Flucht
und Distanzpunkte.

Dürer hat als junger Geselle bei Meister
Wohlgemut von der genauen Perspektive nichts
gelernt, denn auch Wohlgemut arbeitete lediglich
nach dem Gefühl. Die Jugendarbeiten
Dürers zeigen nichts von gesetzmäßiger Perspektive
— auch auf der ersten Reise nach
Italien (nach 1494) zeigen Naturskizzen und
Stiche, daß der spätere Meister von Horizont,
Hauptpunkt und Fluchtpunkten keine Kenntnis
hatte. Erst der Holzschnitt: „Die Schaustellung
" bringt Stufenkanten, die einen gemeinsamen
Fluchtpunkt haben, Mauerfugen hingegen
verlaufen noch willkürlich. Die erste
Arbeit Dürers, deren Tiefenlinien sich in einem
Schnittpunkt treffen, ist die Zeichnung: „Das
Frauenbad", 1496. Ob Dürer über diese Gesetze
unterrichtet wurde, ist fraglich, wahrscheinlich
kam er als guter Naturbeobachter
selbst hinter die Regel; es ist auch möglich,
daß er an Stichen Mantegnas das Gesetz ersah
und begriff. Raummangel verbietet, die Ausführungen
des Verfassers über weitere Dürerwerke
einzeln aufzuführen. Der Vergleich des
Textes mit den Tafeln gibt ein klares Bild
von der Absicht des Verfassers, das wachsende
Wissen Dürers um die Gesetze der Perspektive
darzutun.

Am 13. Oktober 1506 schreibt Dürer an Pirk-
heimer, daß er nach Bologna reiten wolle, um
der Kunst der heimlichen Perspektiva willen,
die ihn einer lehren will. Wer dieser Lehrmeister
Dürers war, ist bis heute mit Sicherheit
nicht festgestellt — Schuritz schließt sich
der Ansicht Ephrussis an, daß es niemand

anders war als Lionardo da Vinci selbst. Dürer
erwähnt diesen erlauchten Namen allerdings
nicht in Briefen, daß aber Dürer und Lionardo
im Oktober 1507 in Bologna waren, ist nachweisbar
.

Schuritz bespricht dann weitere Dürerwerke
aus der Zeit der zweiten italienischen Reise
und der Reise nach den Niederlanden (1507—20).
Kurz gesagt sei, daß der Meister die frontale
Darstellung bevorzugt, daß er Tiefenlinien
keineswegs immer nach einem Verschwindungs-
punkt gehen läßt und sich sehr häufig mit
einer recht freien Gefühlsperspektive begnügt.
Sollte er zeitig zu der Erkenntnis gekommen
sein, das konstruierte Perspektiven leicht etwas
Starres, Langweiliges haben können, daß sie
dem freien Walten der künstlerischen Phantasie
hinderlich sind? daß es keineswegs nur
auf biedere Genauigkeit, die jeden Spießbürger
kennzeichnet, ankommt, wenn es sich um künstlerisches
Schaffen handelt?

Einige Arbeiten des Nürnberger Meisters
sind freilich so genau konstruiert, daß aus dem
perspektivischen Bild die Rekonstruktion von
Grund- und Aufriß möglich ist. Als erstes
Werk ist zu nennen eine Handzeichnung (1510)
und neben anderen Zeichnungen die Kupferstiche
: „Der hl. Hieronimus im Gehäuse" und
die „Melancholie". Diese Stiche sind von
Schuritz außerordentlich gründlich nachgeprüft
worden — die beigefügten Tafeln erläutern
den Text restlos.

Alle Werke Dürers nach 1514 sind nicht
mehr genau konstruiert, die Tiefenlinien laufen
wohl nach gemeinsamen Schnittpunkten, die
Verkürzungen sind nach dem Gefühl gezeichnet
. Dürer hat in seinem Buche: „Unterweisung
in der Messung", in seinem Skizzenbuch
und handschriftlichem Nachlaß schriftliche
Darlegungen über Perspektive hinterlassen.
Er beschreibt genau Einzelkonstruktionen und
aus dem Dresdener Skizzenbuch scheint hervorzugehen
, daß er auch Kenntnis von den
Distanzpunkten hatte; bewiesen wird sicher
Dürers Kenntnis einer eigenen Diagonalmethode,
nach welcher die Blätter: „Hieronymus" und
„Melancholie" konstruiert wurden.

Das Werk von Schuritz ist ein bedeutender
Beitrag zur Geschichte der Perspektive und
zur Kenntnis der Arbeitsmethode Dürers. Als
ein im Jahre 1919 erschienenes Werk ist es
sehr gut ausgestattet und gedruckt.

Hermann Konsbrück

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