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PETER VON CORNELIUS
Mit Genehmigung des Verlages y-ulius Bard, Berlin
KREUZABNAHME
schichte der deutschen Kunst ein Kapitel angehängt
, das, wie die Briefsammlung bei manchen
Dichtern Deutschlands, das große Werk
in seiner Geschlossenheit in Gefahr bringen kann.
In der Tat trägt die deutsche Zeichenkunst des
ig. Jahrhunderts Gestaltungsenergien, Formenprobleme
und nicht zuletzt Geschmack an die
Oberfläche, die im großen Werk nicht so rein
sich spiegeln. Wie auch immer das Material
der Zeichnung sich mit Zweck, Person, Zeit usw.
ändern mag, es verliert weit mehr als in der
Malerei den Wert des Technischen. Es wird
Element der Formgebung. So rückt die Zeichnung
unwillkürlich näher an das Vermögen, das
der Graphik im 19. Jahrhundert einen hohen
selbständigen Wert gegeben hat: das Vermögen,
die Formengebung nicht nach der sog. Konzeption
des Ausdrucks marschieren zu lassen, sondern
im Ausdruck als seine Anschauungsform
ä priori wirksam zu fühlen. So trennte die graphische
Kunst Formengebung und Technik. Und
die Zeichenkunst erscheint als die vierte graphische
Kunst.
Besonders kann die Kenntnis der Zeichnungen
aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts das allgemeine
Werturteil über diese Zeit heben. Sie
geben nicht nur die ersten Triebe in freierer Enthüllung
, sondern auch schon die logische Konsequenz
in der Ausformung des Bildwillens, der
in der Maltechnik — dem eigentlichen Ehrgeiz
dieser Zeit in der Formgebung — als leblose
Unterlage, als Vorzeichnung erscheint. Denn wie
immer man die Kartonzeichnungen Peter Cornelius
zum Canpo Santo in Berlin als Zeichnungen
bewerten mag, der Rest als Malunterlage
bleibt ihnen haften. In der schönen Zeichnung
zur Beweinung Christi (Abb. S. 306), die
seiner ersten römischen Zeit entstammt, gewinnt
die Umrißlinie eine graphische Selbständigkeit.
Selbstverständlich sollte sie sich später zweckvoll
für die Farbkörper bereit halten. Diese aber
kamen ja erst später, sie waren nicht anschaulich
wirksam in der Zugkraft dieser Linien, die
sich noch frei fühlen. Und ihre scharfe Intelligenz
, mit der sie die Großkurvigkeit der Form
erzwingen, geht in die sinnliche Wirkung von
306
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