http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_42_1920/0367
AUSSTELLUNGSRAUM DER VERKAUFSSTELLE DER DEUTSCHEN WERKSTÄTTEN A.-G. IN DRESDEN
ENTWURF VON R. RIEMERSCHMID-MÜNCHEN
NEUE RÄUME DER DEUTSCHEN WERKSTÄTTEN DRESDEN
Allmählich besinnen wir uns,und dürfen fragen:
k. wo stünden wir heute, wenn die vergangenen
sechs Jahre auszulöschen wären? oder, um die
Lage noch deutlicher herauszuarbeiten: wenn
die Entwicklung, die vor etwa einem Menschenalter
einsetzte, in diesen Jahren der berauschenden
und erschütternden Überspannung und Zerstörung
aller Kräfte ruhig weitergerollt wäre?
Hat es einen Sinn, jetzt eine Bilanz zu ziehen?
Der eine wagt es, und findet dies: Die ganze
Reform, das heißt die Bewegung, die, von England
und Belgien befruchtet, zuerst die Fläche,
das Gerät, den Schmuck ergriff, dann zur Individualisierung
des Innenraumes, zum Wohnhaus
, zur Straßengestaltung, zum Städtebau fort-
schritt, trug die Kennzeichen verstandesmäßigen
Ursprungs. Nicht das Handwerk, wo die tiefsten
Quellen aufbrechen, trat zuerst in ihren Kreis,
sondern das Atelier, ja der Schreibtisch erhob
sich zur Herrschaft. Alles kreiste, in Sehnsucht
und Reflexion, um das leuchtende Phantom des
Stils. Die Einsichtigen mochten winken und
warnen; Künstler und Publikum fanden sich in
einträchtiger Begeisterung vor den Werken, die
der Form eine neue Seele oder wenigstens ein
neues Gewand schenkten.
Wir wollen den hundertfach durchgefühlten,
zerfaserten und wieder angesponnenen Faden
nicht wieder abrollen. Genug: in das ungeheure
Netz unserer weltwirtschaftlichen Expansion
war das deutsche Kunstgewerbe unlösbar
eingebunden. Der triebhaft aufschießende Formwille
, der in den neunziger Jahren in unseren
Ausstellungen, unseren Werkstätten glühte,
konnte kein ewiges Leben haben. Was an seinen
Geschöpfen überspannt oder gespreizt, polternd
Dekorative Kunst. XXIII. 12, September 1920
325
45
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_42_1920/0367