Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 43. Band.1921
Seite: 2
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0016
zu einem Weltanschauungsgedanken, der über
unsere Zeit hoch aufschwingt in das Reich des
Ideals, in dem Festhalten an einem gewissen
Stoffumkreis als dem Entscheidenden — es tritt
natürlich viel Studienmaterial anderer Art hinzu
und an Formen und Gestalten ist Herterichs
Werk sehr reich — ist die Stetigkeit der künstlerischen
Entwicklung Ludwig Herterichs verbürgt
.

Anders ist es mit dem formalen, im besonderen
dem koloristischen Ausdruck seiner Kunst.
Wie grundverschieden ist etwa das heute im
Lübecker Staatsbesitz befindliche Historienbild
„Johanna Stegen, das Heldenmädchen von Lüneburg
" von der gewaltigen Pietä der Stuttgarter
Galerie! Wie wandelte sich der Künstler, der
in der Mitte der i8goer Jahre den „Sommerabend
" malte und vor Monatsfrist „Die vier
Lebensalter" schuf, ein in der Stimmung jenem
frühen Werk zwar verwandtes, im Ausdruck
aber ganz andersgeartetes Gemälde! Und trotzdem
sind nirgends in der Entwicklung Lücken.
Wenn sich Herterichs malerische Ausdrucksweise
im Laufe von fast fünf Jahrzehnten wiederholt
und entscheidend änderte, so geschah es
nicht, weil ihn Einflüsse von außen, Rücksichten
auf künstlerische Moden und Richtungen bestimmten
. Sondern es lagen dem ausgesprochene
Erlebnisse zugrunde. Herterich gehört nicht zu
denen, die, haben sie sich einmal eine charakteristische
Handschrift erarbeitet, nun um jeden
Preis daran festhalten, weil sie ihre Eigenart
aufzugeben befürchten, wenn sie die ihnen gehörende
Form zerschlagen. Herterich ist eine
der reichen, quellenden, sich selbst stets auf
neue gebärenden Naturen, die nicht zu sparen
brauchen.

Wie es ihm in dieser Hinsicht erging, wie
er von der Diez-Malerei zu sich selbst fand,
hat Herterich einmal in einer autobiographischen
Skizze erzählt. Wie köstlich das gewesen sei,
so ein angefangenes Bild der Diez-Schule! Diese
feinen Beinschwarzlinien, die in Konturen und
Schattierungen so musikalisch durcheinanderliefen
, auf dem prachtvoll präparierten Brett,
aber wie schwer auch aus diesem reizvollen
Gewirr herauszukommen und feste Form und
Gestalt zu gewinnen! Und wie sich dann vor
Natur und Wirklichkeit das Rezept der Schule
doch nicht bewährt habe: „Wenn ich aus dem
Atelier von meiner Arbeit kam und vor die
Akademie hinaustrat in die Neuhauserstraße,
sagte ich mir: das sieht doch ganz anders aus
als auf deinem Bild! Woher kommt das? Und
um nun über diesen Eindruck klarzuwerden,
nahm ich eines Tages mein Skizzenbuch und
schrieb mir Ton für Ton auf, was ich vor
mir sah. Auf dem großen Grau der Straße

spielte sich alles ab; wie ein Schwarz als einfacher
Lokalton auf dem Grau stand; wie ein
dunkelblauer Soldat daherkam mit blauweißem
Bandelier; wie nicht alle Köpfe der Menschen
hell auf dem Grau standen, sondern viele tonig.
Und vor allem: wie einfach, furchtbar einfach
war die ganze Geschichte, und wie geschlossen
in großen, ruhigen Flächen! Dann ging ich
ins Atelier zurück, strich mir die Leinwand
grau an, und in dieses Grau setzte ich die einfachen
Schwarz und Dunkelblau, möglichst geschlossen
, wie ich es noch im Gedächtnis hatte.
Das sah nun freilich ganz anders aus als meine
früheren Arbeiten, und meine Freunde waren
überrascht, aber nur wenige von ihnen billigten
meine neue Art."

Diese „neue Art" mag noch etwa in dem
historischen Episodenbild aus den Freiheitskriegen
, in dem in leidenschaftlichem Tempo
aufgebauten und für seine Zeit farbig ungemein
frisch gemalten Bild der „Johanna Stegen", besonders
in der heute in bayerischen Staatsbesitz
befindlichen Skizze dazu, erkannt werden.
Aber Herterich war nicht gesonnen, hier stehen
zu bleiben. Bald führte ihn ein anderes Erlebnis
weiter. Er malte in seinem Atelier, für
ein Ritterbild natürlich!, einen Schimmel. Dem
behagte es nun aber gar nicht in dem heißen
Raum, und da kam dem Künstler der Einfall,
den Gaul in das Freie zu stellen und ihn durchs
Fenster zu malen. „Und wie ich nun da draußen
den Schimmel vor mir sah und darnach arbeiten
wollte, merkte ich auf einmal, daß ich ganz
andere Töne sah, als ich zu malen gelernt hatte,
daß, was ich gemalt hatte, nicht zu dem paßte,
was die Natur mir zeigte, daß ich das, was
die Diez-Schule mich gelehrt hatte, in der Natur
nicht brauchen konnte. Nun stellte ich mir oft
Modelleins Freie, und immer machte ich dieselbe
Erfahrung; und alle meine Versuche, der Natur
nahezukommen, mißglückten und mußten mißglücken
. Denn ich hatte eben nicht gelernt, die
Natur zu studieren, ich hatte dazu keine Anleitung
gehabt. Ich hätte einen Lehrer gebraucht,
der mich in die Natur hinausgeführt hätte, um
mir die Augen zu öffnen, aber ich hatte in
der Schule nur das Rezept gelernt."

Das also war Herterichs erste Begegnung
mit dem Pleinair, sie geschah durch den Schimmel
und das Malen zum Atelierfenster hinaus. Die
Bekanntschaft mit den Werken Fritz von Uhdes
und Max Liebermanns erfolgte erst später,
allerdings hat sie Herterich in dem schweren
Kampf um seine Kunst, den er damals kämpfte,
nach seinem eigenen Zeugnis gestärkt und
gefördert. Anderes kam hinzu: die Spanier
und Franzosen auf der Münchner Internationalen
Ausstellung von 1883, eine Reise nach Italien,

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