http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0056
sehen und Renaissancebüsten sich beeinflussen
assen. Die formlose Endigung der neuesten
Arbeit, jener obengenannten Mädchenbüste, die
eine Konzession an die bequeme Rücksichtslosigkeit
unserer meisten heutigen Bildhauer
gegen die Durchbildung des Sockels ist, wird
hoffentlich nur eine Ausnahme bleiben.
Gleichzeitig mit der Ausstellung der Freien
Secession hatte auch die Akademie in ihrem
Palast am Pariser Platz eine Ausstellung von
älteren Berliner Bildnissen, namentlich Büsten,
in denen Schadows Werke den Reigen führten.
Sie forderten unwillkürlich zum Vergleich mit
den Büsten von Klimsch auf. Schadow ist leicht
etwas klassizistisch trocken, was in seinen Figuren
noch stärker hervortritt — zum Teil wohl,
weil er seine Marmorarbeiten nicht selbst fertig
ausführte —, aber seine unbestechliche Wahrhaftigkeit
, seine Treffsicherheit, sein feiner, wenn
auch etwas hausbackener Geschmack lassen
seine Büsten noch immer mit als das Beste erscheinen
, was die deutsche Plastik seit dem
Mittelalter geleistet hat, an das selbst die besten
Porträts eines Rauch nicht herankommen, und
der in den mancherlei tüchtigen Büsten und
Porträtstatuetten eines Blächer, Schaper, Adolf
Hildebrand u. a. doch wahrlich noch nicht übertroffen
wird. Vor seiner Zeit lag die deutsche
Kunst, auch die Porträtplastik, fast zwei Menschenalter
in arger Verkommenheit, nachdem
sie gerade in Berlin ein Schlüter um die Wende
des 17. zum 18. Jahrhundert fast unvorbereitet
zu einer stilvollen Größe und Wucht erhoben
hatte, wie seither nicht wieder, wie vorher —
Jahrhunderte früher — nur in den unerreichten
Bildnisstatuen des Naumburger Doms. Wenn
wir dann sehen, wie in dem Jahrhundert vor
Schlüter bis hinauf in die Zeit der Reformation
durch die Wirren, die sie im Gefolge hatte und
die im Dreißigjährigen Kriege ihren furchtbaren
Abschluß fanden, mit der gesamten Kunst auch
die Porträtplastik in Deutschland vollständig
am Boden lag, wie vorher die jahrhundertelange
so bieder naturalistische und intime deutsche
Plastik mit den Werken eines höchstbegabten
, aber beinahe tollen Manieristen, des
Meisters vom Breisacher Altar, ein jähes Ende
fand und dann plötzlich in Schlüter zu so großartiger
Entfaltung kam, da kommt uns doch
ein Schimmer von Hoffnung, daß „die herrliche
neueste Kunst" doch auch einmal ihr Ende
erreichen wird, daß nach dieser Karikatur
von wirklicher Kunst und nach dem langen
Katzenjammer, der dann folgen wird, mit der
Reinigung unserer ganzen Kultur schließlich
auch ein Wiederaufbau der Kunst beginnen
kann. Aber dazu muß sich die Krankheit austoben
, die Heilung muß von innen kommen.
Man sollte endlich bei uns aufhören, künstlich
Kunst züchten zu wollen! Über Kaiser Wilhelms
„kaiserliche Kunst", über seine höchst persönliche
Kunstpolitik hat man weidlich gespottet
und gewettert: wird es heute etwa besser
gemacht? Nicht nur die neue Regierung, auch
alle größeren Städte, deren Bürgermeister an
bedenklicher Großstadtsucht leiden und sich
gegenseitig in Kulturförderung jeder Art den
Rang abzulaufen suchen, und mit ihnen das
ganze Literatentum und die kunsthistorische
Jugend wetteifern in der künstlichen Kunstzucht
. Man lasse sie gewähren, man lasse sie
sich austoben, aber die Vertreter der älteren
Kunstrichtung und einer gesunden, stetigen
Fortentwicklung der Kunst sollten sich eine
Behandlung, wie sie diese letzte Ausstellung
der Freien Secession zeigte, in der die Ehrenmitglieder
und Begründer der Berliner Secession
in ein kleines Winkelzimmer verwiesen waren,
nicht länger gefallen lassen, sollten nicht mit
ihrem Namen diese „Kunst" decken, mit der
die ihrige nichts zu tun hat. Sie sollten sich
sammeln, sollten nicht bald hier, bald da in
Kunsthandlungen (wie August Gaul gelegentlich
seines 50. Geburtstages bei Paul Cassirer)
Separatausstellungen machen, sondern gemeinsam
ihre besonderen Ausstellungen machen,
sollten dafür sorgen, daß der widerliche offizielle
Jahrmarkt in dem Glaspalast am Lehrter Bahnhof
, wenn er nicht geschlossen werden kann,
so doch eingeschränkt und gereinigt werde.
Nur dann kann das Publikum merken, daß es
außer Expressionismus und Kitsch noch wirkliche
Kunst gibt. Wilhelm Bode
Und wiederum ist für eine Nation nur das
gut, was aus ihrem eigenen Kern und ihrem
eigenen allgemeinen Bedürfnis hervorgegangen,
ohne Nachäffung einer anderen. Denn was dem
einen Volk auf einer gewissen Altersstufe eine
wohltätige Nahrung sein kann, erweist sich
vielleicht für ein anderes als ein Gift. Alle
Versuche, irgendeine ausländische Neuerung
einzuführen, wozu das Bedürfnis nicht im tiefen
Kern der eigenen Nation wurzelt, sind daher
töricht, und alle beabsichtigten Revolutionen
solcher Art ohne Erfolg; denn sie sind ohne
Gott, der sich von solchen Pfuschereien zurückhält
. Ist aber ein wirkliches Bedürfnis zu einer
großen Reform in einem Volke vorhanden, so
ist Gott mit ihm und sie gelingt.
(Aus Goethes Gesprächen mit Eckermann.)
38
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0056