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menschlich bewegter Handlung, von kalligraphischen
Faltenschnörkeln zu flüssiger Gewandung
, bis zu dem fast naturalistischen Spiel,
wie es die genrehaften kleinen Tonfiguren buddhistischer
Legendenvorgänge aus dem Anfange
des 8. Jahrhunderts erfüllt. Die Abbildungen,
die dank der Güte des Verlages hier beigegeben
sind, betonen besonders das Dekorative,
lassen aber den Ablauf vom Herben zum Gefälligen
erkennen. Ihn erläutern die Beschreibungen
des Textes und lehrreiche Zusammenfassungen
, denen später eine weitere Gesamtdarstellung
folgen soll. Möge sie bald erscheinen
: denn hier ist ein Werk, das der deutschen
Wissenschaft in jedem Betracht Ehre macht,
ohne deshalb derer zu vergessen, die sich an
erhabenen Beispielen schulen und starke, tiefe
Kunst genießen wollen. Wir freuen uns doppelt
der Ernte, die durch ein freundliches Geschick
noch eben vor dem Unwetter hat in die
Scheuer gebracht werden können.
Peter Jessen
NEUE KUNSTLITERATUR
Rembrandts sämtliche Radierungen in
getreuen Nachbildungen. Mappe I und III,
herausgegeben mit einer Einleitung von Hans
W. Singer. München, Holbein-Verlag.
Eine große würdige Gesamtausgabe von Rembrandts
Radierungen fehlte seit längerer Zeit; die
französischen Publikationen aus den achtziger
Jahren sind längst vergriffen; das Werk von
D.Povinski mit seiner Wiedergabe aller bekannten
Plattenzustände nur den wenigsten Privaten zugänglich
, übrigens auch gar nicht als Arbeit, die
die Schönheiten des graphischen Werkes Rembrandts
einem größeren Kreise zugänglich machen
soll, beabsichtigt; die handliche Ausgabe der
Klassiker der Kunst (Band VIII) ist auf das für
Radierungen ganz ungeeignete Kunstdruckpapier
abgezogen. Andere Ausgaben lassen die erwünschte
Vollständigkeit vermissen. Hocherfreulich ist es
darum, daß als Seitenstück zu seinem prächtigen
Kupferstichwerk Dürers der Verlag sich zu einer
Gesamtausgabe von Rembrandts Radierungen entschlossen
hatte. Jaro Springer hatte sie begonnen,
nur den zweiten Band, der die Produktion der
Jahre 1634—1644 umfaßte, zu vollenden, war ihm
vergönnt, bevor er als Opfer des Weltkrieges in
Rußland starb. Nun ist der noch ausstehende
1. und 3. Teil, von H. W. Singer bearbeitet, auch
erschienen, so daß das ganze monumentale Werk,
das 312 Reproduktionen auf Tafeln und 63 allgemein
für unecht gehaltene Werke als Anhang zu
der Einführung umfaßt, vorliegt. Über die Wichtigkeit
von Rembrandts Radierwerk, die Genüsse,
die mit seiner Betrachtung verbunden sind, über
die doppelte Bedeutung sowohl für den, der rein
artistisch-formale Anregungen in ihm sucht,und für
den, der von einem Kunstwerk auch einen ethischmoralischen
Wert verlangt, über alle diese vielseiti-
genWirkungen, die dasgraphischeWerk des größten
aller Radierer zu schaffen vermag, soll hier nicht
gesprochen werden ; nur davon darf die Rede sein,
daß diese mancherlei Anregungen des großen Zauberers
durch diese wertvolle Publikation weiteren
Kreisen erschlossen werden. Deutsche Gründlichkeit
und Gediegenheit feiern hier, unter all der
Not der heutigen Zeit, Triumphe ; dem noch unter
günstigeren Verhältnissen erschienenen früheren
Teile stehen die jetzt herausgekommenen Mappen
in der Klarheit und Sauberkeit des Druckes, der
vorzüglichen Ausstattung nicht nach. Zu bedauern
bleibt höchstens, daß der zweite Bearbeiter nicht
ebenso wie Jaro Springer die Plattenzustände, die
der Reproduktion zugrunde gelegt wurden, angegeben
hat. Denn nicht nur den Kunstliebhaber
wird diese gediegene Publikation erfreuen, sondern
auch den Gelehrten unter gewissen Umständen
neben den Originalen gute Dienste leisten. Der
weiteren Verbreitung steht auch der für heutige
Verhältnisse geringe Preis von 150 M. pro Mappe
nicht im Wege. Dr. w. B.
i
Käthe Kollwitz. Handzeichnungen in originalgetreuen
Wiedergaben. Dresden, Emil Richter
Verlag.
Bei kunstausübenden Frauen ist als eine nicht
eben seltene Erscheinung ein überstarkes Auftragen
, ein gewaltsames Übertreiben zu konstatieren,
leicht erklärlich aus dem Bestreben, die sonst den
Frauen nachgesagte Eigenschaft des lyrischen
Rosafärbens, der Süße zu vermeiden. Bei den Arbeiten
der Frau Käthe Kol!witz stellt sich nie die
Empfindung ein, daß sie Stoff oder Form übertreibt
, um ihr Geschlecht vergessen zu machen,
billige Effekte zu erzielen und damit leicht errungenen
Lorbeer heimzuholen. Die Form, in die
sie ihre ernsten, je aus den Nachtseiten des Lebens
gewählten Themen kleidet, ist aus den letzteren
herausgewachsen, beide sind zu einer unlöslichen
Einheit verschmolzen. Sie gibt nicht, wie
z. B. Walter Crane, sozialistische Agitationskunst
im Gewände der Pastoralen des 18. Jahrhunderts.
Ist ihr graphisches Schaffen überhaupt eine Agitationskunst
, wie so oft behauptet wird? Hierauf
wird wohl ebensowenig mit Ja zu antworten sein,
wie wenn man Rembrandt als Vorkämpfer der
sozialen Bewegung feiern würde, weil zerlumpte
Bettler und Ghettogestalten in sein graphisches
Werk Eingang gefunden haben. Eher dürfte man
behaupten, daß die Künstlerin ihre Modelle manchmal
in zu gesteigerter, monumentaler Form umschafft
, eine Form, die dann merkwürdig zu dem
realistischen Thema steht. Denn diese geistvolle
Gestalterin menschlichen Elends und Lasters sieht
in ihren Geschöpfen nur die große Linie, während
alles kleinlich naturalistische Beiwerk unterdrückt
wird. So bleibt nur eindringliche, große Kunst;
Hauptträgerin dieser Gestaltungsweise sind die
Handzeichnungen; mit deren gediegenen Publikation
diese Seite des Schaffens der Künstlerin weiteren
Kreisen zugänglich zu machen, ist ein großes
Verdienst. Auf die Ausstattung ist ganz besondere
Sorgfalt verwendet worden, die sich nicht nur auf
die sichere Reproduktion der Technik, sondern
selbst auf die Wiedergabe des Originalpapieres
erstreckt. Die Auswahl der 24 Zeichnungen, denen
noch eine Originallithographie der Künstlerin beigegeben
ist, ist eine sehr geschickte; Entwürfe zu
den großen Radierungszyklen, zu einzelnen graphischen
Blättern, selbständige Zeichnungen und ein
kraftvolles Selbstbildnis der Künstlerin sind darin
enthalten. So ist die Mappe in hohem Maße geeignet
, der großen Gemeinde der Freunde von Käthe
Kollwitz neue Mitglieder zuzuführen. Dr. W. B.
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