Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 43. Band.1921
Seite: 116
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0144
gerade von ihm kommen. Denn immer ist es
ja bei diesem Künstler so gewesen, daß er sich
mit sittlichem Ernst dem Werden, dem Suchen
und Ringen zuwandte, daß er sich dem unaufhaltsam
schaffenden Geiste verpflichtet fühlte
und in diesem edlen, selbstlosen Dienste — ohne
Prätention und Titulatur, ohne den starren,
ständigen Vereinsapparat — unversehens zum
Führer der Entwicklungen wurde. Immer erschien
ihm die Entwicklung als das beste Ziel.
Wie er in seinem eigenen Tun das Vollbrachte
geringschätzt, wie ihm selber die Arbeit weit
mehr gilt als ihr Ergebnis, das Wirken weit
mehr als das Werk, so stand seine Persönlichkeit
auch zeitlebens inmitten der Jungen und
Junggebliebenen. Anregend, anfeuernd zum Wirken
und Wagen, auch wenn es zu Irrtümern
und Enttäuschungen führen sollte: des Vergangenen
nicht zu achten, dem Gegenwärtigen
zu dienen und das Künftige vorzubereiten. Und
nur Künstler, nur Schaffender zu bleiben. So
war, so ist Josef Hoffmann. Ein lebenspendender
Mittelpunkt, ein Temperament und ein Charakter
. Und in diesem Sinne hat er sich, ohne
es zu wollen, durch die Kunstschau die schönste
Vorfeier seines Geburtstages bereitet, die ein
Fünfzigjähriger sich bereiten kann. Denn nur
von wenigen wird man sagen können, daß sie
auf einer solchen Stufe ihrer eigenen Reife, in
einer solch trüben Lebensstunde ihrer Umwelt
und bei einer so vielfältigen und harten Bedrängnis
der Künste alle echten Kräfte von Wien
wieder zur Fahne zurückgebracht hat. An diesem
Mann und durch ihn an seinem Kreise
ist der Umsturz spurlos vorbeigegangen. Nach
wie vor gelten hier Desertion und Kompromiß
als Schande. Nach wie vor gilt hier nur eine
Pflicht, nur eine Ehre: die Kunst. Und eben
diese Moral nicht durch wortreiche Programme,
sondern durch eine Tat wieder gerettet zu haben,
das ist die innere, historische Bedeutung der
Kunstschau.

Als ein Bekenntnis zur Heimat, zur Jugend
und zum lebendigen Schaffen, also in ihrem
idealen Umriß, wird sie von dem Namen des
Führers gedeckt. Aber für die ungleiche Erfüllung
dieser Aufgabe trägt sie selber die Verantwortung
.

Die letzte Kunstschau hatte 1908 stattgefunden
. Auch damals galt es, der schnell
gealterten „Secession" eine frische, lockere
Gruppe entgegenzusetzen. Auch damals stand
Hoffmann — mit Klimt und Moser, Cizek
und Czeschka — im Vordergrunde. Auch damals
war Oskar Kokoschka schon da. Aber
aus diesem neuen Ankömmling, der damals
das „wilde Kabinett" beherrschte, ist seither
ein expressionistischer Klassiker geworden. Das

ist, durch Personen angedeutet, die zeitliche
Veränderung.

Klimt und Moser sind tot. Und einer, der
ihre ornamentale Tat durch Ausdruckskraft und
Charakter steigerte, der solcherart von ihnen
hinüberführte zu Kokoschka und die Brücke war
für die letzte Phase der Wiener Entwicklung,
Egon Schiele, hat sich den Toten frühzeitig zugesellt
. Diesen dreien wurden in der Mitte der
Ausstellung, in drei nebeneinander gelegenen,
gegenseits geöffneten Kojen Rückblicke gewidmet
. Leider waren sie weder vollständig noch
auch wesentlich. Von Moser war nur die müde,
aus den Furchen des Hodlerschen Ackers gehobene
Nachlese, von Klimt waren wohl einige
Landschaften aus der Reife, sonst aber nur
leichte Improvisationen der Spätzeit zu sehen.
Stärker erschien Schiele bezeichnet, aber auch
er noch immer nicht so stark, wie es seine
ungestüm und bedeutsam vorgreifende Art
verlangte.

So blieb denn auch die Verkettung dieser
Vorgänger mit der angereihten expressionistischen
Maljugend von heute nur lose und lückenhaft
. Wohl sah man hier — neben dem metallkühlen
Harta, dem saftigen Tischler, dem beweglichen
Huber, dem blaß-duftigen Werke
Nowaks und der gewandten, aber auch unsteten
Könnerschaft Faistauers, die doch übermäßig
betont erschien — drei ansehnliche Eigenarten:
Kolig, noch am Rohbau beschäftigt, aber doch
schon klar in der Richtung auf das Architektonische
und auf einen geradezu kosmischen
Rhythmus; Wiegele, teilnehmend an den Gärungen
der Zeit, und doch mitten durch sie zu
großen und beruhigten, fast lionardesken Formen
vorstrebend; endlich den feingliedrigen und
konzentrierten, geistigen Gütersloh, der ein intimer
Erzähler und ein heimlicher Dichter ist.
Aber man sah den Wald vor lauter Bäumen
nicht oder, anders gesagt, das Individuelle trat
vernehmlicher hervor als das Gemeinsame.

Was scheidet diese jungen Männer von den
Gleichstrebenden draußen, was hält sie zusammen
? Wie sind sie heimatlich bestimmt, auch
gegenüber der Tradition ? Viele neigen zur Manier,
sind Mitläufer im Kurse des Tages. Aber diese
vielen zählen nicht. Die übrigen kennzeichnet
zunächst ihre besondere Farbenempfindung, die
vom zarten Anhauch bis zur funkelnden Schlagkraft
reicht. Das führt dann weiterhin zu einer
merkwürdig schnellen Abkehr von dem neuen
Raumbild und seinem vereinfachten, kubischen
Aufbaue, führt folgerecht wieder zum gut österreichischen
, zum Wiener Flächendekor, das hier
in seinen altgewohnten stattlichen Ausmaßen,
bewegt und gesteigert durch die energischen Mittel
der Gegenwart, schon wieder durchblickt.

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