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Malerei ist die Natur, Schönheit ist Natur,
Natur ist Schönheit." Dies ist allerdings nicht
im Sinne von Courbets Ausspruch: „le beau
c'est le laid" zu verstehen, denn der Einfluß
des Klassizismus zeigte sich bei Keller gerade
darin, daß er schöne, dem Auge wohlgefällige
Motive als Vorwürfe wählte. Der Grüne Heinrich
hält dem Schulmeister, Annas Vater, einen
Vortrag über Landschaftsmalerei und belehrt
ihn dahin: „Die Landschaftsmalerei besteht
darin, daß man die stille Herrlichkeit der Natur
betrachtet und abzubilden versucht, manchmal
eine ganze Aussicht, manchmal einen einzigen
Baum, ja nur ein Stücklein Wasser und Himmel."
Die Naturwahrheit, welche die Grundlage der
ganzen Kellerschen Erzählungskunst bildet, ist
auch dem Maler Voraussetzung seiner Kunst;
ergötzlich ist in dieser Beziehung der Kampf
des Grünen Heinrich mit seinem Lehrer Römer:
dieser merkt es sofort, wenn der Schüler die
Natur korrigieren will und ruft ihm zu: „Lassen
Sie das gut sein, die Natur ist vernünftig und
zuverlässig und Sie sind nicht der erste Hexenmeister
, welcher der Natur und seinem Lehrer
ein X für ein U vormachen will."
Dieses ästhetische Glaubensbekenntnis bildet
auch die Grundlage für den Kunstkritiker
Keller. Daß er auch als solcher seinen Mann
stellt, zeigen seine kleinen Aufsätze, die sich
mit bildender Kunst beschäftigen und die reich
an feinen Betrachtungen und zielsicheren Urteilen
sind, zeigen ferner seine Kunstberichte für
die „Neue Züricher Zeitung", die sich auf einen
Zeitraum von fast zwanzig Jahren erstrecken
und beweist auch das Lob Kaulbachs, das beste,
was über seinen „Reinecke Fuchs" geschrieben
worden sei, sei der Aufsatz Kellers. (Über
Keller als Kunstkritiker vgl. auch das von Karl
Brun herausgegebene ,,Neujahrsblatt der Stadtbibliothek
Zürich", Zürich 1894). Kellers Naturwahrheit
mußte ihn zum entschiedenen Gegner
jeder Gedankenmalerei, jeder spiritualistischen
Richtung in der bildenden Kunst machen. Er
macht dieser Richtung schon die gleichen Vorwürfe
, die die Gegner unserer neuesten Kunst,
dem Expressionismus und seinen Nebenrichtungen
gegenüber bei der Hand haben. „Sie
wollen sich nicht auf die Natur, sondern allein
auf den Geist verlassen", sagt der Maler Lys
im Grünen Heinrich, „weil der Geist Wunder
tut und nicht arbeitet. Der Spiritualismus ist
diejenige Arbeitsscheu, welche aus Mangel an
Einsicht und Gleichgewicht der Erfahrung
hervorgeht und den Fleiß des wirklichen Lebens
durch Wundertätigkeit ersetzen, aus Steinen
Brot machen will, anstatt zu ackern und
zu säen. Das Herausspinnen einer fingierten,
künstlichen, allegorischen Welt aus der Erfindungskraft
, mit Umgehung der guten Natur
ist eben nichts anderes als jene Arbeitsscheu."
Aus diesem kritischen Gedankengang heraus
nennt der strenge Freund die Bilder Heinrichs
gute Epigramme aber keine Malerei und wirft
ihm vor, er stehe mit dem ganzen Handel in
der Luft. Aber noch mehr glauben wir einen
Aufsatz gegen den Expressionismus aus unseren
Tagen zu lesen, wenn wir das berühmte Schlußkapitel
des dritten Bandes des autobiographischen
Romans aufschlagen mit der ironischen
Philippika des Malers Erikson. Es heißt da:
„Du hast, Grüner Heinrich, mit diesem bedeutenden
Werke eine neue Phase angetreten und
begonnen, ein Problem zu lösen, welches von
größtem Einflüsse auf die deutsche Kunstentwicklung
sein kann. Es war in der Tat längst
nicht mehr auszuhalten, immer von der freien
und für sich bestehenden Welt des Schönen,
welche durch keine Realität getrübt werden
dürfe, sprechen und räsonieren zu hören, während
man mit der größten Inkonsequenz doch
immer Menschen, Tiere, Himmel, Wald, Feld und
Flur und lauter solch trivial wirkliche Dinge
zum Ausdruck gebrauchte. Du hast einen
gewaltigen Schritt vorwärts getan. Die Million
Striche und Strichelchen, zart und geistreich
oder fest und markig, wie sie sind, in einer
Landschaft auf materielle Weise plaziert, würden
allerdings ein sogenanntes Bild im alten
Sinne ausmachen. Wohlan, du hast dich kurz
entschlossen und alles Gegenständliche, schnöd
Inhaltliche hinausgeworfen. — Aber mein Lob
muß sofort einen Tadel gebären: in diesem
reformatorischen Versuch liegt noch immer ein
Thema vor, welches an etwas erinnert, in diesem
Versuche zeigt sich immer noch ein gewisses
Können, das Können aber ist von zu
leibhafter Schwere und verursacht tausend
Trübungen, es ruft die tendenziöse Kritik hervor
und steht der reinen Absicht feindlich entgegen
." Man sieht aus diesem scharfen Angriff
, wie sehr der realistische Augenmensch
Keller alle Bestrebungen der bildenden Kunst
ablehnte, die sich von der Nährmutter Natur
entfernten; für ihn gilt uneingeschränkt das
Dichterwort: „Kunst und Natur sei eines nur"
und Lionardos Ausspruch: „Die Kunst soll
wie eine Spiegelplatte die Natur reflektieren."
Das Wort eines Führers des heutigen Expressionismus
, daß die Kunst da anfange, wo
die Natur aufhöre, hätte Keller mit seiner heiligen
, an Goethe gemahnenden Ehrfurcht vor
der Natur mit der ganzen ironischen Schärfe
seines Zornes Übergossen. Diese Stellung des
Dichters hängt allerdings aufs engste mit seiner
ganzen Weltanschauung zusammen, mit Feuerbachs
wirklichkeitsfroher Philosophie; hätte
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