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der sein tiefstes Daseinsgefühl zu umschreiben
versucht, kommt ganz von selbst bei verwandten
Ergebnissen an. Der Expressionismus Barlachs
legitimiert sich und seinesgleichen ohne Absicht
als lebendiges Gewächs des gleichen Bodens, der
einst die Vorväter erwachsen ließ — und es
ist kein Zufall, sondern sehr sinnvoll, daß man
vor seinen Arbeiten zuweilen die gleichen Rezeptionshemmungen
empfindet, wie vor den
Nürnbergern um 1500. Erst die Allgemeinverbindlichkeit
der Ausdrucksmittel, die Form als
gefühlte Umgrenzung eines persönlichen Erlebnisses
, hilft die Absonderung und Isoliertheit
dieses Persönlich-Besonderen hier wie dort
durchbrechen. Paul Fechter
Ein Zeichen wie die einfachsten Begriffe aus dem
Geleise sind, ist der Satz: „Die Kunst kann entweder
viel mehr geben als die Natur oder sie kann viel
weniger geben." Das ist Wind! Wie kann man denn
immer wieder die Kunst, dies Menschen werk mit der
unendlichen Natur vergleichen wollen. — Da die
Kunst doch etwas ganz anderes ist und zwar nichts
anderes als der Ausdruck menschlichen Lebens und
Empfindens dem so ganz ungeheuerlichen Chaos der Natur
gegenüber, vielleicht könnte man die Kunst als eine
Art von Ordnung schroffer ansehen in dem Wirrwar von
Eindrücken den uns're Seele von der Welt empfängt. —
Wenn sie der Ausdruck einer Menschenseele ist, dann
ist sie gut, sie kann aber auch blos äußerliches Geschicklichkeitswerk
sein, dann ist sie eben nicht Kunst
im eigentlichen Sinne, so künstlich sie sein kann.
Was mir in einer modernen Ausstellung besonders
auffällt ist der Zufall der in den meisten Bildern sein
Wesen treibt, gestaltender Geist und Wille fehlen. —
Gute Bilder sehen doch eigentlich immer so aus als
ob sie gewachsen, als ob die Natur sie hervorgebracht
hätte, oder als ob sie gebaut wären — aber die meisten
Bilder der Ausstellungen sind arrangiert, sie kommen
mir vor als ob sie von Conditern oder Tapezierern
gemacht wären u. viele Historienbilder vom Theaterregisseur
. Diesem Arrangieren gegenüber hat der
Naturalismus, der mit Ernst und Liebe ein Stück
Natur nachzubilden versucht, doch noch eher etwas
was auf den Weg zum Bilden führt, als dieser Arrangierismus
der sich gewöhnlich so viel auf seinen
Geschmack einbildet. Geschmack ist aber in der Kunst
von gar keiner Bedeutung, jede Putzmacherin kann
ihn haben, die Kunst wird in ihrem wahren Wesen
schaffen, nicht nach außer ihr liegendem Gesetz und
Objekt, sondern nach Gesetzen die im Wesen der
menschlichen Seele liegen, sie kommt somit freilich
direkt aus der Natur hervor weil das menschliche
Wesen ja ganz in der Natur verankert ist. Die Kunstwahrheit
wird im Grunde nichts anderes sein als die
Offenbarung der Natur der Seele. Die Kunst ist ein
Zeugniß der wahrnehmenden Seele, der nach ihren
eigenen Gesetzen formenden Seele; das ist in den bildenden
Künsten gerade so wie in der Musik und Poesie.
Aus einem Briefe Hans Thomas an Emil Lugo (1880)
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