http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0213
ANTON HANAK
In dem ersten Saale der „Wiener Kunstschau
ig20" war endlich die Gelegenheit geboten,
das Werk des Bildhauers Anton Hanak in seinem
gegenwärtigen Zustande zu überblicken.
Beinahe alles ist in Stein gedacht, in weißem
oder leicht getöntem Marmor und in naturfarbigem
Hartstein; nur der „Fanatiker", der
„Neuerer" und der „Letzte Mensch" sollen in
Bronze gegossen werden. Diese Kunst ist monolithisch
. Sie schließt das stückweis Konglome-
rierte ebenso aus wie das malerisch Kombinierte.
Sie ist durchaus undekorativ, durchaus bildhauerisch
. Jedes Werk ein Felsblock, in seinem
Aufbau dem organischen Gesetz des lebendigen
Felsens folgend. So ist diese Kunst —schon rein
materiell genommen — nicht gemacht, sondern
gewachsen und trägt von Beginn an einen einfachen
, großen, einen notwendigen Zug.
Sie bietet durchwegs Einzelfiguren von übermenschlichen
Maßen, Jünglinge und Mädchen,
vorwiegend aber reife, kraftvolle Männer und
Frauen; auch hier die Ausnahme: der ausgemergelte
, verwelkte „Letzte Mensch".' Sonst
kommen die Erscheinungen einander nahe, selbst
die Unterscheidung der Geschlechter ist nicht
so scharf, daß ihre typische Ähnlichkeit ausgeschaltet
würde. Alle Gestalten sind blutsverwandt
, tragen das unverkennbare Zeichen der
Abstammung vom selben Vater.
Die Richtungen der Körperachsen wechseln
zwischen den äußersten Kontrasten: das „Große
Leid" schwebt in der reinen Wagerechten, der
„Traum" ruht in der Diagonale, das meiste ist
aufgerichtet. Aber was zwischen diesen drei
ausgesprochenen Richtungen liegt, ist vermieden
, alles Undeutliche und Unbestimmte wird
von der Hand gewiesen — charaktervoll und
energisch, klar und männlich beweist sich diese
Kunst schon bei der Festlegung des Gerüstes.
Den billigen Virtuosenstücken vom Schlage
der Reiterparaden mit den aufgebäumten, beängstigend
labilen Pferden fremd und feind,
beruht das Statuarische dieser Kunst nicht zuletzt
auf dem rein und einfach Statischen. Also
auf jenem immer offenkundigen Übereinander-
lagern der Schichten, das wieder nur eine Form
ihres organischen Wachstums ist. Und so erklärt
sich schon aus dem Verhältnis des Künstlers
zum Stein, zu seiner Bearbeitung und zu
seinem Aufbau die große, motivisch nur wenig
abgehandelte Gebärde seiner Gestalten, der
große, zusammengehaltene Umriß der Figuren,
der das interessant Bewegliche, das nervös Zerrissene
, den aufgepeitschten Exzeß nicht kennt,
der unter der ruhigen Oberfläche alle Bewegung
nach innen zwingt.
Gleich bleiben auf diesem gestaltenden Wege
der Stoff und die Arbeitsweise. Ihre Bedingungen
werden schlechthin als Gesetze genommen und
gehorsam befolgt. Schon in den rohen Tintea-
skizzen, die reihenweise nicht den einseitigen Umriß
, sondern die nach allen Seiten wirkende Gebärde
suchen, denkt und arbeitet dieser Künstler
im Material, geht er nicht bildformend, sondern
bildhauerisch vor. Und ebenso verhält er sich
bei dem ersten plastischen Aufbau. Der Umgang
mit dem Gips ist ihm bloß ein lästiger
Notbehelf, schon bei diesem unedlen Stoff hat
er immer nur den edlen Stein im Auge. Deshalb
verwirft er den schmutzigen und weichen
Ton, das Material des Bildformers, und hält sich
an die härteren Eigenschaften des Gipses, dessen
rüde Klumpen er wie ein Bildhauer angeht
, von außen nach innen vordringend, die
toten und unnützen Stücke der Masse entreißend,
bis sie ihr eingeschlossenes Leben hergibt. Er
verfährt dabei nicht mit dem Daumen und der
Handhöhle, nicht kerbend und knetend, sondern
mit dem Stemmeisen und dem Hammer wegschlagend
. Im Gips bekämpft er schon den
Granit. Die „plastische Skizze" bedeutet ihm
eine contradictio in adjecto, einen blanken
Widersinn und eine Versündigung am Stoff
und Geist. Denn die leichten Launen und die
genialischen Einfälle gelten ihm als das Vorrecht
der Unverantwortlichen, der Literaten.
Der bildende Künstler aber erweise sich an dem
lange verweilenden, wägenden, ringenden, unablässig
vertiefenden Gestalten. Er beherrscht
die Improvisation wie irgendeiner, aber er mag
sie nicht; nur dem Besten der Freunde zuliebe
entstand einmal ein solch eilfertiges Ding,
der „Traum", das Werk dreier Tage. Doch
sonst ist alles wie der Fruchtbaum aus dem
Wirken lang währender Zeiten hervorgebracht;
vier Jahre schon sind an den „Letzten Menschen
" verwendet und noch immer ist er nicht
zur Vollendung gereift. Und ähnlich steht es
mit dem Übrigen; deshalb ist auch seine Summe
so ungewöhnlich klein. Diesem Künstler ist
das Schaffen eine Lust und eine Andacht, aber
auch eine Mühe.
Verschieden ist das zum Ausdruck drängende
Gefühl, das verkörpert sein will. Aber selbst
dieses verändert sich im Verlaufe der Arbeit,
unter dem Zwange des streng verketteten bildnerischen
Prozesses.
In einer erleichterten Stunde, zum erstenmal
während des Krieges wieder im Ausland,
sah der Künstler weiß leuchtende, wagerecht
schwebende Wolken am blauen schwedischen
Himmel. So entstand der Gedanke für eine froh
Die Kunst fUr Alle XXXVI.
177
23
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0213