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entrückte, in sich ruhende und schwebend befreite
, weiß strahlende Marmormasse. Daß der
Gedanke in einen Menschenleib eingehen mußte,
stand bei dieser Kunst, die ihre Lebensanschauung
und ihr Weltgefühl immer nur in einen
Menschenkörper faßt, schon von vornherein
ebenso fest, wie daß er diesmal, froh und schön,
wie er war, einen reifen Frauenkörper zu seinem
Gehäuse wählen mußte. Aber dann, im Schritte
der Arbeit, unter dem Zwange des schaffenden
Blutes, veränderte sich auch diese große Freude
zum „Großen Leid".
Immer ist es hier so. Immer nimmt ein
kleiner, alltäglicher, verschieden gefärbter Anlaß
im Fortschritt seiner Verarbeitung allmählich
den schweren Takt dieses Künstlerblutes
an. Und darüber hinaus den größeren kosmischen
Rhythmus. Denn die Empfindungsweise
dieses Künstlers ist nur im ersten Augenblick
ihrer leidenschaftlichen Erregung rein persönlich
, dann erweitert sie sich zum Allgemeinen,
zur Idee. Umsonst müht sich der gefesselte
„Fanatiker", aber der wegessichere „Neuerer"
überschreitet die „Irdischen Grenzen", hört die
„Stimme von oben", er sieht das „Goldene
Antlitz" und er verweilt im „Gebet". Aus
dunklen, triebhaften Gründen heraufgestiegen,
tastet die Empfindung nach der Idee. Und
diesem Zustand der tastenden Berührung beider
Elemente gibt der Bildner die Form. Dies ist
der Prozeß und dies das Erlebnis. Aus dunklen,
strömenden Bewegungen der Seele zu einer
nicht immer restlos klaren Sichtbarkeit geführt,
auch zuletzt noch mannigfach beschwert, nicht
ganz befreit, mehr machtvoll ergriffene Empfindung
, der die Hand nachspürt, als abgerückte,
abwägende Anschauung, steigert diese Kunst
doch jedes ihrer Werke zu wahrhaft monumentaler
Haltung und Würde.
Die Landschaft, in der er haust, die Musik,
die er über alles liebt, und die innere Einsamkeit
, die ihn schaffend umfängt, das sind die
drei Stimmen, die diesen Menschen bewegen,
diesen Künstler aufwärts tragen und in seinem
Werk als die Ursachen von dessen äußerer und
inwendiger Einheit, von dessen sichtbarer und
tönender Macht Gestalt gewinnen.
Niemals hat Österreich einen echteren, eigeneren
und größeren Bildhauer gehabt, und auch
das Ausland kann ihm gegenwärtig nicht seinesgleichen
entgegensetzen.
Anton Hanak ist ein hervorragendes Glied
in der allgemeinen Entwicklung der Kunst.
Immer auf die größten Maßstäbe, auf die Hellenen
und auf Michelangelo gerichtet, im Widerstreit
mit Rodin, schreitet der Meister rüstig
und unverdrossen zu den höchsten Zielen fort.
Noch kennen wir sie nicht. Aber sie werden
auf jenem freien Gipfel liegen, wo —- geliebt
von den Jüngern der Kunst, verehrt von den
Schreibern der Geschichte — die Gesetzesgeber
des bildenden Schaffens wohnen.
WILHELM STEINHAUSEN 75 JAHRE
T^Vas Organische ins Seelische eingekleidet, Über-
l-s gänge weiter Bezirke in nahen, still berührenden
Formen, sanfte Neigung eines Ackers, die
Ackergrenze fast in den tiefen Uferrand fallend,
schimmernde Fläche des Wassers, ein hoher Horizont
übergehend in milden Himmel, Kreislauf
einer Atmosphäre über der Scholle, ein Halt kaum
organisch in der Natur, aber des Wesentlichen
sehnsüchtig gewiß, das ist die irdische Spaltung,
lyrische Behaltung von Steinhausens Kunst.
Das Lebende ist wie ein dunkler Fittich, träumerisch
gewitterhaft unter Wolken schwebend,
durch die eine Strahlenordnung der Sonne schießt;
aber das unbeirrbare Gefühl des Religiösen ist in
lautlosen Gründen geborgen oder siedelt spielend
im irdisch vertrauten himmlischen Garten.
Ein spätnazarenisches Gemüt (während sonst
das Nazarenertum konfessionell in Formalismus
ausging) bildet einen aktiv empfänglichen, paräne-
tischen Charakter.
Wenn ein Meister, wie nun Steinhausen, sein
75. Jahr erreicht hat, so weckt er durch die Länge
seiner Lebensgemeinschaft mit seinemVolke gleichartige
Empfindungen. Solcher Kunst wird man
mehr von der allgemeinen geistigen und Gemütshaltung
her nahen müssen als von der gewalttätig
einzelhaften Kunstleistung. Denn sie ist, so
sehr sie innig mit dem Empfindungswesen einer
Einzelnatur zusammenhängt, doch der noch vorhandene
allgemeine Charakter eines Volksteils,
eines bestimmten Volksgeistes. So betrachtet wird
sie Zeugnis einer innerdeutschen, innerreligiösen,
bekennerhaften Entwicklungslinie, die uns Heutigen
die Lage des Volkes miterklärt, seine Schwäche
vielleicht, aber eine gute Schwäche deutlich macht.
Denn hier zeigt sich resthaft eine seelische Unverlierbarkeit
, größer und deutlicher als in Heimatkünsten
, wodurch man sie retten wollte, mehr geschichtlich
als naturhaft mit unserem Dasein verwachsen
. Denn das Geschichtliche eines Volkes
ist wesentlich auch für sein Naturhaftes. Und
Steinhausens stärkere Seite, seine Naturkunst, ist
doch ein Ausfluß, eine Stoffwahl seiner seelischen
Gestimmtheit im religiösen Organismus und christlich
noch vorhandenen Zeitgefühl.
Solche Überlegungen sind uns heute allerdings
meistens fremd. Und wenn nun Gestalten wie
Steinhausen — gerade solche Altersnaturen leben
noch patriarchalisch unter uns — in unsere andersartige
Generation hineinragen, so tut schon diese
bloße Tatsache Wirkung. Sie erinnern daran, daß
in der Kunst Geltenlassen wichtiger ist als eine
unfruchtbare Reinheit der Begriffe.
So lebt nun Steinhausen, 1846 in Sorau (Niederlausitz
) geboren, heute in Frankfurt, in den Beschwerden
des Alters, im Nachglanz eines seelisch
bangenden Menschenalters, der sein stilles, beiseite
geschehenes Werk verklärt. Konrad Weiß
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