Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 43. Band.1921
Seite: 188
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0224
ein Bild des Geschehens aufzubauen, wir sehen
es an, wie es der Künstler im Bild gestaltet.
Kann es unter solchen Umständen wundernehmen
, daß die bildende Kunst auf das religiöse
Leben den stärksten Einfluß gewann und
täglich neu gewinnt? Bedeutet das aber nicht
auch zugleich für den Künstler die Übernahme
einer Verantwortung, die wie eine ungeheure,
aber doch auch beseligende Last auf ihm liegt?

Wer sich heute anschickt, die Bibel zu „illustrieren
" — fast sträubt sich die Feder, das in
unserer Zeit so lieblos gebrauchte Wort niederzuschreiben
—, der muß sich bewußt sein, daß
er etwas Gewaltiges unternimmt. Zieht er nicht
nur ein paar Arabesken um die heiligen Geschichten
und läßt er es nicht mit einigen Bildern
ohne inneren Einklang, ohne Harmonie
bewenden, so muß ein Bibel-Bilderwerk ihm
ganz von selbst zum Hauptwerk seines Lebens
werden: so wie vor dieser Aufgabe wird ihm
nie mehr Gelegenheit werden, ins Volle zu
greifen, seine eigene Seele auszugießen und, im
Kampf mit den vordringenden Gestaltungen
seiner Vorgänger, zu zeigen, wie er durch seine
Eigenart imstande ist, den alten Motiven neues
Leben, Geist von seinem Geist, einzuhauchen.

Der Münchener Maler Bruno Goldschmitt hat
sich der schweren Aufgabe zugewandten dreißig
Holzschnitten großen Formats die Stimmungen,
die ihm von entscheidenden Kapiteln der Bibel
kamen, auszuformen. Er darf sich mit Recht dazu
berufen fühlen. Er steht heute den Jahren nach
auf der Höhe des Lebens, menschliche Schicksale,
innere und äußere Erlebnisse, Glück und Leid
haben sein Wesen gereift, so daß er zugleich mit
Ehrfurcht und mit Mannesmut an das Werk
herantreten konnte. Unbeschränkt gebietet er
über die künstlerischen Ausdrucksmittel. Aus der
Fresko-Monumentalität, die ihm aus früheren
Arbeiten zuteil geworden, trug er Entscheidendes
in die Folge seiner Bibel-Holzschnitte. Durch
illustrative Arbeiten graphischer Art hatte er
seinen zeichnerischen Stil geklärt und geschärft,
hatte er sich die Konzentration auf Allerwesent-
lichstes zu eigen gemacht.

Seine Holzschnitte sind auf kräftiges Neben-
und Gegeneinander des Schwarzund Weiß gestellt.
Selten erscheint dem Künstler ein gebrochener
Mittelton notwendig. Leuchtend, funkelnd steht
das reine Weiß, oft bandhaft breit flatternd, vor
dem satten, sammetigen Schwarz des Grundes.
Die strenge Zusammenfassung, die bildmäßige
Konzentration, das Schaffen einer zentralen Achse
für jedes Blatt, gewährleistet die stilistische Einheit
. Sie war technisch nicht so leicht, wie es
die fertigen Blätter vermuten lassen, herbeizuführen
. Ehe Goldschmitt den Bildgedanken in
zusammenreißender Ballung zu höchster Einheit
formuliert, geschehen die gründlichsten Detail-
und Gesamtstudien. Dann erst schreitet er jeweils
zur Ausführung. Aber die entspricht dann auch
restlos seinen Absichten. Wie geschlossen, rund,
auf einen Punkt als Ausstrahlungszentrum der
Stimmung eingestellt, sind diese Blätter! Alles
überflüssige Beiwerk ist ausgeschaltet. Rein Erzählendes
scheint Goldschmitt unwesentlich. Gemessen
an dem naheliegenden Beispiel der Dore-
schen oder der Schnorrschen Bibel, muß Goldschmitts
Bibel erscheinen als das gereinigte
Gotteswort, von krippenhafter Verbreiterung
ins Volkstümliche, Legenden- und Märchenhafte
zurückgeführt auf den klaren Urtext. Gewisse
dramatische Bibelszenen mochte und konnte sich
Goldschmitt nicht entgehen lassen. Er braucht sie
in dieser Folge, die, wie erwähnt, auf dreißig Blätter
angelegt ist. Nicht immer kann er, der sich besonders
zu Abstraktionen hingezogen fühlt, Blätter
wie die Scheidung von Licht und Finsternis oder
den über den Wassern schwebenden Schöpfer, die
phantastische Gestalt des mit feurigen Zungen
redenden Propheten oder die Symbolisierung des
Wortes „Auge um Auge" zum Bild gestalten.
Es gehört zum Wesen der Bibel, daß die gewaltigen
dramatischen Akzente die Symbole,
Allegorien und didaktischen Partien ablösen.
Sie erst bewirken Tempo und Rhythmus. Und so
ordnete Goldschmitt in sein Bibelwerk die bedeutungsvolle
, philosophisch tiefschürfende Darstellung
ein, wie Adam die Eva erschaut, deshalb
hat das bewegte, zaubermäßig groteske
Blatt „Moses verwandelt Wasser in Blut" in
der Ökonomie dieser Folge seinen wohlberechneten
Platz, deshalb der sterbende Hiob in
seinem grauenhaften Schmerz, deshalb die königliche
Esther, die zarte, minnigliche Ruth im
Ährenfeld und die gespenstische Judith, die, aus
dem Zelt des Holofernes tretend, mit einer
großen, wilden und doch gefaßten Bewegung
den tiefsten Schauder in dem Betrachter auslöst.

Beiden wird Goldschmitts Bibelwerk gerecht:
denen, die zur Bibel und zu den Bibelmalern
kommen, um von ihnen Erbauung zu holen, konzentrierten
Geist des Geistes, den das heilige Buch
ausstrahlt und denen, die ein Kunstwerk vom
Stofflichen abstrahieren und Kunst um der Kunst
willen betrachten: ihnen wird die verblüffende
und gleichzeitig bestrickende Meisterschaft der
Holzschnitt-Technik Goldschmitts, der mit dieser
Verbindung graphischer Stilgerechtheit und
freskogleicher Monumentalität ganz allein in
schweigender Höhe steht, diese Arbeiten über
alles wert machen. Georg Jacob Wolf

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