Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 43. Band.1921
Seite: 194
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MAX LIEBERMANN

GRASENDE ZIEGEN (1887)

Ein anderes ist nicht minder selbstverständlich,
ohne daß überflüssig wäre, es festzustellen:
alles Gute sei nämlich auch absolut. In unsrer
Zeit jedenfalls ist es nicht überflüssig, dies
auszusagen. Denn ihr gibt der Aberglaube an
die Allerweltsweisheit von der unaufhörlichen
Entwicklung noch immer täglich hundert Argumente
für und gegen. Vulgäre Sinnesart
nimmt alles an, läßt sich nur einigermaßen
beweisen, es liege im Zug der Entwicklung und
also lasse sich nichts dagegen tun. Aber es ist
nicht bloß unnötig, sondern auch läppisch, Erscheinungen
, die auf irgendeine Weise wesentlich
sind, unter den Gesichtspunkt der Entwicklung
zu stellen. Das Interessanteste ist
immer das Unhistorische. Das Wichtigste einer
Kunst ist die unvermittelte Gültigkeit ihres
Daseins und Bleibens; das Unverbrauchte, Un-
verbrauchbare, die stets geringe Entfernung
vom Puls der Lebenden, die es vermögen, an
aller Kunst das wahrzuhaben, was den verstaubenden
Bedingnissen der Entwicklungsgeschichte
entzogen ist und immer an einer Stelle des
ersten Plans glänzt oder funkelt.

An diesem Absoluten aller wesentlichen Kunst
hat Liebermann teil. Dieser Anteil reizt mehr
denn alles, was die Philologen des kunsthistorischen
Evolutionismus und der kunsthistorischen
Kategorien als seinen Moment in der
Geschichte eines Jahrhunderts nachgewiesen
haben. Solcher Nachweis bleibt der Kunst selbst
im Grunde fremd. Was könnte er über das
allezeit prompte Leben aller wesentlichen Kunst
wohl aussagen? Kunst — das ist Spannung,
Vergegenwärtigung einer Spannung, Unbedingt-
heit einer Spannung. Den Grad einer Spannung
fühlen, Bussole einer Stromstärke sein, einerlei
ob es sich um eine Miniatur des zehnten Jahrhunderts
oder um eine Radierung des zwanzigsten
handelt: dieser Zustand erst würde
bedeuten, daß Kunst begriffen ist, Kunst selbst,
das ewig Immediate daran, nicht das von den
Historikern Mediatisierte. Kunst — Identität
oder Verwandtschaft der Spannungen. Bevor
nicht dies Eine aller Kunst gesehen ist, ist
nichts gesehen.

Dies nun ist das Schauspiel Liebermann:
daß seine Kunst, wo immer sie auf die Höhe

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