Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 43. Band.1921
Seite: 199
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MAX LIEBER MANN

AUF DER WEIDE (1891)

der doch das Maß der Spannung gar in die
Sekunde drängte, sich den verstimmenden Gedanken
der Apostel des Evolutionismus an den
Lendemain vom Leibe hielt, ist eine Art von
Heroismus. Er war und blieb, der er war —
tel quel. Auch dies ist eine Ansicht der Situation.

Liebermann, der Maler, dem das malerische
Temperament auch den Griffel des Graphikers
umtreibt, hat seine Passion für die Zeichnungen
des Ingres. Nicht jene Passion der vielen, die
von der Linie des Ingres schwärmen, weil sie
daraus für ihren pedantischen Begriff von Stil
eine edle Nahrung saugen. Die tiefe Dialektik
in der Natur Liebermanns sucht die größten
Phänomene zeichnerischer Spannung gern und
notwendig just am anderen Ende der Welt.
Ingres — das ist beinahe das Maximum erfüllter
Linie; der Linie, die nicht hängt, nicht schleppt
und nachschleift; der Linie, die aufsteht, sich
bauscht, sich biegt, sich legt, sich schwingt;
der Linie, die nachdenkt; der Linie, die sich
feiert und sicher keinen Augenblick in einer
Ruhe der Indifferenz, der Passivität versäumt.

Die Zeichnung des Ingres — Befehl und Gehorsam
, Freiheit und Devotion eines noblen
Nervs, der da wacht.

Die Zeichnung Liebermanns, in frühen und
in späten Jahren oft von festem und dunklem
Gewebe (dies etwa noch in dem prachtvollen
Blatt vom Monte Pincio aus 1912), kann effa-
ciert sein wie ein Palimpsest. Mit einem Minimum
peripheraler Striche, mit einigen Kommata
, mit etwas Rand hält sie dann das Bild.
Derselbe Mann beklagt, daß Israels der letzte
Maler gewesen sei, der es noch verstand, ein
richtiges Bild zu malen. Ein richtiges Bild: ein
Bild im Sinne bürgerlicher Empfindung; ein
Bild mit gemütlichem Inhalt; ein Bild, das
erzählt, eine Andächtigkeit des Gefühls sättigt
und den Aufwand altmeisterlichen Malens kennt.
Dies Verhältnis zu Israels wäre nicht so dicht,
stünde nicht das Axiom der großen Spannung
des Formalen über allem — auch über der sehr
besonderen Verehrung, die den Berliner mit
dem Holländer im Persönlichen, im Künstlerischen
und im Rassigen verbunden hat. Das

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