http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0238
MAX LIEBERMANN
Verhältnis zu Menzel ist nicht anders; nicht
allein das Norddeutsche, das Berlinische, das
Preußische macht die Gemeinschaft, sondern
auch, und vor allem anderen, eine Ähnlichkeit
der formalen Spannung.
Freilich ist gerade beim Klang des Namens
Menzel noch Entscheidendes anzufügen. Führt
Liebermann in seinem Hause am Wannsee den
Gast an den Zeichnungen Menzels vorbei, die
in Reihen die Wände zieren, so fallen einige
Worte, die den Ohren in Jahren nachklingen.
Heftige, stoßende Refrains: „Sehn Sie — sehn
Sie — das ist organisch." Ja freilich das ist es
— und von diesen Worten geht dem Nachdenkenden
endlich ein neues Begreifen der
Dinge auf, auch wenn er längst zu wissen
meinte, was organisch ist.
Auch Liebermann ist einmal des Willens
gewesen, das Bild zu malen: das Bild im Sinn
der alten Meister. Frühe Radierungen geben
einen Widerschein der Anstrengung: der Weber
und anderes. Dieser Wille wurde eines Tages abgestellt
. Aus keinem anderen Grunde geschah es
als aus diesem: aus besserem Willen, wirklich nur
das Organische zu tun, nicht das Mechanische;
DIE LANDSCHAFT MIT DEM ZAUN (1894)
nicht das Konstruktive, vielmehr das Natürliche
und also Unwillkürliche. Der Begriff des
Organischen umschließt den der Abkunft, das
Bild der Quelle, des Kosmischen; kurz den
Gedanken des Ganzen. Wäre nun demnach der
Wille zum Bild — als zum Ganzen — nicht
begreiflich, ja legitim gewesen? Scheinbar nur.
Denn es wurde erkannt, daß eine Zeit wohl
das Ganze und damit das Bild unmittelbar besitzt
, die andre Zeit nur mittelbar — daß eine
Zeit das Ganze im Ganzen hat, die andre im
Teil. Kunst hatte also gerade dann, wenn sie
das Organische und drum das Ganze im Sinn
behielt, nur das zu tun, was ohne Zwang, ohne
den Druck des Mechanischen dem Augenblick
entwachsen konnte. Gab der Augenblick nur
den Teil, so war das Organische und Ganze
im Teil zu suchen. Teil mußte pars pro toto
werden. Er wurde es, war nur die Hand mit
Sorgfalt auf die Spuren des Organischen und
Ganzen auch im Teil bedacht. So geschah es.
So geschah auch das Nächste, das unvermeidlich
war. Wurde nach dem Wesen der
Zeit die Kunst auf das Fragment gerichtet, so
mußte die Zeichnung etwas Offenes behalten.
200
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0238