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dauernde Bewegung und der ständige Szenenwechsel
auf dem Hintergrund einer träumerisch
-melancholischen Landschaft füllten Rheins
Skizzenbücher. Wie bei diesem Leben Tag und
Nacht ineinander übergingen, so fielen die
Schranken von Raum und Zeit, und im Anblick
einer gewaltigen Natur stiegen die großen
Probleme des menschlichen Werdens und Vergehens
auf. Gleichnis erschien ihm alles, was
des Menschen Dasein ausfüllt, und selbst der
furchtbare Krieg und das Schicksal der Völker
dünkten ihm nicht viel mehr denn flüchtige
Naturerscheinungen. Damals sind unter Rheins
Pinsel eine Reihe kleiner Meisterwerke entstanden
. Ihre Stärke beruht darin, daß sie kriegerische
Eindrücke in sprechende Gleichnisse
künstlerischen Erlebens, in Bewegungs-, Licht-
und Farbeneindrücke umsetzen und als Stimmungen
ergreifend schildern.
Die Kunstgeschichte kennt kaum einen Maler
von Rang, der sich nicht in Stilleben versucht
hätte. So sehen wir auch Rhein seit seinen ersten
Anfängen bemüht, die Vorteile, die es
bietet, für die Malerei auszunutzen. Er hat
Stilleben von hinreißender Schönheit gemalt,
an denen man höchstens aussetzen kann, daß
sie zu viel Geschmack verraten. Wie da eine
Schale von irisblauer Färbung in einem Bilde
von Rhein gegen eine gelbe Vase steht, und
wie Schale und Vase mit ein paar weißen Tulpen
oder einem braunen Seidenschal farbig
zusammengefaßt werden, das läßt sich mit
Worten überhaupt nicht ausdrücken.
Von jeher hatte Rhein dem Bildnis Beachtung
geschenkt; im Laufe der letzten Jahre ist es
zu dem bevorzugtesten Gebiet seiner Tätigkeit
geworden, und fast auf keiner großen Ausstellung
fehlt mehr ein Porträt von seiner Hand. Dabei
hat er sich nie dazu hergegeben, dem Geschmack
des breiten Publikums gefällig zu sein. Von
dem sich weltmännisch gebärdenden Snobismus
bestimmter Kreise hält er sich glücklicherweise
ebenso weit entfernt wie von Modeströmungen,
politischen Rücksichten und wie die schönen
Dinge heißen, die zwar auf die Entwicklung der
Kunst einwirken, innerlich jedoch mit ihr nicht
das mindeste zu tun haben. Was aber besonders
wichtig erscheint: Rhein, der als Maler dem
Impressionismus die fruchtbarsten Anregungen
und die nachhaltigste Förderung verdankt, läßt
den Impressionismus beim Porträt außer Betracht
. Er hat erkannt, daß das Bildnis nicht
eine rein malerische, sondern eine Angelegenheit
ist, die den ganzen Menschen angeht.
Objektiv zu sein mit Bezug auf die Persönlichkeit
des Darzustellenden, subjektiv im Hinblick
auf den Maler — zwischen diesen beiden
Forderungen trachtet er einen Ausgleich herzustellen
, und er versucht dies auf seine ganz
persönliche Art. Wer Rhein kennt, schätzt die
Gradheit seines Charakters und die Vornehmheit
seines Wesens. Die beiden Eigenschaften, die
auch das äußere Bild des Mannes kennzeichnen,
prägen sich auch in seinen Bildnissen aus. Hier
waltet ein bewußter Wille. Rhein malt nur solche
Menschen, zu denen er sich durch geistige Verwandtschaft
hingezogen fühlt, und das sind Leute
mit innerer und äußerer Kultur. Wo er ferner
Charaktere mit Zügen seiner eigenen Persönlichkeit
wiederfindet, entsteht ein Typus, den
man den Rheinschen Typus nennen kann. Dieser
Typus verkörpert in der Zusammenfassung von
Vertretern verschiedener Klassen und Berufsstände
eine Schicht, der die Wirklichkeit nichts
ganz Gleiches an die Seite zu setzen vermag.
Wenn man hieran festhält, mag man Rhein
den Maler der Aristokratie nennen. Rheins
Bildnisse würden freilich den Beifall, den sie,
wie unlängst wieder in München, gefunden
haben, nicht erregen, wenn nicht ihre Malerei
auf der Höhe ihrer geistigen Auffassung stünde,
und sich diese Malerei nicht wiederum den
Forderungen fügen würde, die sich für den
Raumausschnitt, für die Wahl des Hintergrundes
, für seine größere oder geringere Gegenständlichkeit
aus der jeweiligen Aufgabe ergeben
. Aus seinem sicheren künstlerischen Gefühl
heraus findet Rhein das richtige Format und
die passende „Räumlichkeit", auch wenn er
sich darauf beschränkt, dem Hintergrund eine
neutrale Gestalt zu geben. Je weiter der Maler
fortschreitet, desto ausdrucksvoller wird er in
der Farbe. Im allgemeinen gibt sich die Absicht
kund, mit wenig Farben eine möglichst reiche
Wirkung zu erzielen. Wo in einem fast monochromen
Grau als herrschendem Grundton eine
leuchtende Farbe, etwa Rot oder Gelb, aufblitzt
, pflegt die Wirkung am stärksten, das
Kolorit des ganzen Bildes am schönsten zu sein.
Hier zeigt sich die Beschränkung, die den Meister
verrät. Wenn das Porträt der Parademarsch des
Malers ist, so hat Fritz Rhein bewiesen, daß
er ihn ohne Schwierigkeit ausführt. Er wäre
aber nicht zu den malerischen Leistungen befähigt
gewesen, die er vollbrachte, und nicht der
Künstler, den wir hochschätzen, wenn nicht
hinter seiner Malerei der Mensch mit seiner
starken und reinen Seele stünde. G. J. Kern
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