http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0262
HANS THOMA
HEXENTANZ (1870)
Dichterisches, Phantastisches und Landschaftliches
vom Main, vom Schwarzwald, aus Italien
und der Schweiz zur höchsten Blüte und Vielfältigkeit
, immer wieder von seinem eigenartigen
und poetisch verklärten Natursinn durchwirkt.
Die ernsten Fragen von Zeit und Tod, Leben
und Empfindungen werden durch humorvolle
und launige Gestaltungen ausgewichtet. Es ist
ein glühendes, blühendes Leben, das sich hier
bald in höchst verfeinertem Sinn, bald in
unmittelbar volksliedhaftem Erzählerton ausspricht
, ja, ausströmt, wenn man das reiche
Malwerk der Staffelei-Bilder und die allmählich
stark und mannigfaltig sich ausgestaltende Graphik
noch in Betracht zieht. Aber das Wunder,
das in dieser aus allen irdischen, himmlischen,
seelischen und kosmischen Bezirken erwachsenen
Kunst sich immer wieder zeigt, ist eben doch,
daß sie in des Künstlers deutscher heimattreuen
Seele, in seiner Deutschbürgerlichkeit verwurzelt
ist. Keine Kunst der Welt strömt zurzeit so
aus dem vollen Born urtümlich-unerschöpflicher
Gestaltungskraft, wie diese; keine greift aus
vollster Mitte so an die äußersten Grenzen
künstlerischen Schaffens, liegt so reich und vielgestaltig
zwischen den Polen der Kunst, wie
Thomas Werk. Kein Schaffen der Gegenwart
zeigt solch höchsten künstlerischen Spieltrieb
mit Form und Material und zugleich so ernstes
Verantwortlichkeitsgefühl, wie diese Kunst.
Keine Bildnerweise sonst verrät diese Leichtigkeit
und Freiheit des Gestaltens und zugleich
die tiefe innere Versonnenheit und Versenkung
in Formen und Farben, wie die Aquarellmalerei
des Künstlers. Die tiefe und doch spielerische
Leidenschaftlichkeit für diese Kunst- und Ausdrucksweise
zieht sich durch das ganze, ein
doppeltes Menschenalter umschließende Schaffen
Thomas. In seinen Alterstagen noch treibt
es neue, eigenartige Blüten in den mit Wachstechnik
behandelten, teilweise aquarellierten,
teilweise Öl oder Tempera bemalten Lichtbildsteindrucken
, die in schmetterlingshaft zarter
Farbigkeit die unerschöpfte künstlerische
Frische des Meisters dartun.
Dr. Jos. Aug. Beringer
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