http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0267
C. EBBINGHAUS
TEUFEL (KLEINBRONZE)
„LEBENSGRÖSSE" ALS MASSTAB
Kunst" nennt man die erkennbar von Menschenhand
geformte Gestaltung menschlicher
Vorstellungen zu einem Gebilde, welches
in den Wirkungsmitteln von der Wirklichkeit,
der „Natur" wesentlich verschieden, im Wirkungszweck
ihr letzten Endes gleich, gleichwertig,
gleichgerichtet ist. Der jeweilige Reiz der„Hand-
schrift" dieser erkennbar schaffenden Menschenhand
ist, größer oder geringer, rein individuell,
ist Tat- oder Personalfrage; aus ihm ergibt
sich der relative Kunstwert des Werkes, dessen
höchste Steigerung die Erhebung jenes „Gebildes
" zu einem „Geschöpf" — zu einem selbständigen
Wesen mit eigenem, glaubwürdigem
und lebendigem Dasein ist.
Voraussetzung für die Kunstwirkung des
Handgemachten bleibt aber stets die Verschiedenheit
der Kunstmittel von denen der Natur —
und in dieses Gebiet gehört als wichtigste die
Frage des Maßstabes.
Seine entscheidende Wichtigkeit ist keineswegs
auf architektonische Zusammenhänge beschränkt
. Auch für alle Werke, die, von unmittelbarer
Beziehung zu andern Dingen gelöst, für
sich selbst bestehen sollen, bleibt die Lebensgröße
des Menschen der zwingende Maßstab:
„Der Mensch ist das Maß aller Dinge."
Faktoren des Kunstwertes sind also: einmal
die an dem Werke deutlich erkennbare Handarbeit
eines lebendigen, lebensgroßen Menschen —
dann aber gleichzeitig die entschiedene und
zweifelsfreie „Distanzierung" des Werkes von
den Parallelerscheinungen der Wirklichkeit, zu
welchen in allererster Reihe eben die Größe
gehört.
Deshalb soll etwa eine Statuette in ihren Verhältnissen
, ihrer Formgebung usw. offensichtlich
nicht von einem Zwerge ihrer eigenen Größe,
sondern von einem normalgroßen Menschen
gemacht sein.
Die Kunst für Alle. XXXVI. Juni 1921
225
29
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0267