Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 43. Band.1921
Seite: 232
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gegen empfinden
und die Verherrlichung
jener Gebilde,
die von dieser unbeschwert
sind: Negerkunst
, die spielerischen
Schöpfungen
der Kinder.

Jedes Ding trägt
auchschonden Kern
seines Untergangs
in sich. Die Geburt
ist der Anfang des
Todes. Auch in jeder
künstlerischen
Bewegung. Der
Schwerpunkt der
jetzigen Bewegung
liegt im Seelischen,
denManifestennach
zu schließen. Eine
begreifliche Reaktion
auf die vorhergegangene
Mache
der Geschicklichkeit
, der wissenschaftlichen
Optik,
der Verbeugung vor
dem Können. Die
unleugbaren Qualitäten
werden jetzt
ebenso unterschätzt
wie sie früher überschätzt
wurden. Das
ist immer so, wenn eine Epoche eine andere ablöst.
Aber, daß der Sprung so ausgedehnt wird, daß
Grenzen, diebisher jedeRichtung zu überschreiten
unterließ, ist eine Erscheinung, die tiefere Bedeutung
haben muß. Es ist der Geist des Radikalismus
, der ideologisch richtig vorgeht, wenn er sagt,
das Schlechte muß zerstört werden, da sich auf
ihm nichts Gutes aufbauen lasse. Und infolgedessenwill
er alles Vergangene einreißen, weil ihm
alles Frühere schlecht dünkt, und zerstört mit
dem Schlechten auch Wertvolles. Wenn auch im
guten Glauben, so doch geleitet von einem Impulse,
dem die Fähigkeit objektiver Wertung fehlt.

Das ist die Tragik unserer Zeit, daß alles
aus Konflikten geboren ist, daß Harmonie erstrebt
wird und das Ergebnis Dissonanz ist,
daß die reine Idee Idol bleibt und der Versuch
der Ummünzung in die Praxis das Aufwühlen
eines Morastes zeitigt. Das Wollen ist riesengroß
, vermag aber nicht die Fesseln zu sprengen.
Eine befriedigende Lösung ist a priori nicht
denkbar, weil eine Verletzung der Gebundenheit
ein Unterfangen bedeutet, das sich mit Naturnotwendigkeit
rächen muß. Denn die Gesetze,

C. EBBINGHAUS

die wir formulieren,
liegen in den Dingen
, nicht in unseren
Köpfen.

Wir wollen nicht
Erben sein, sondern
Begründer. Aber
wir vermögen den
Staub der Jahrhunderte
nicht abzuschütteln
, sind beschwert
durch die
Last derVergangen-
heit. Unmöglich einen
Streich zu machen
um das Neue
einfach zu dekretieren
. Wir selbst werden
nicht ins Gelobte
Land sehen
können. Unsere
Wurzeln sind im
früheren verankert,
wir können uns nicht
selbst den Boden
unter den Füßen
wegziehen. Hier
setzt die Tragik ein.
Wenn wir uns selber
opfern und eine
Trümmerstätte errichten
, so daß den
Kommenden jede
Erinnerung abgeschnitten
ist, so sind wir eben Ausklang, nicht
Erneuerer. Das sind dann vielmehr die, welchen
wir den Boden bereitet haben. Aber ein solches
Vorgehen hat etwas von der Tat des Herostrat
. Destruktion kann nicht Aufgabe der
Kunst sein; denn sie bejaht das Leben.

Eine Vernichtung zum Zwecke des Aufbaues
ist ein Paradoxon. Dann würde der Fall eintreten
, daß wir die Schuldigen eines Kulturvakuums
werden, das wir verhindern sollten.

Zugegeben, daß wir eine Überzivilisation hatten
, eine Überkultur besaßen wir indes nicht.
Innerlich verarmt, spähen wir nach Rettung.
Europa scheint müde und morsch. So wenden
wir den Blick nach Osten und glauben dort
zu finden, was uns mangelt. Ob das Heil von
dort kommen kann, ist eine offene Frage. Wir
selbst können desselben wohl kaum zur Gänze
teilhaftig werden, weil wir unter andern Bedingungen
groß geworden sind, jede Kultur braucht
ihren Boden und entspringt aus diesem. Daß
wir so morsch geworden sind und nicht mehr
recht an uns selber glauben, würde eine Analogie
mit dem sinkenden Römerreich nahe liegen

WEIBLICHE BÜSTE (BRONZE,
ETWA »fe LEBENS GRÖSSE) □

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