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lassen. Diese Schwäche gebiert
unsere Trauer, diese
Empfindung kann uns
aber auch Größe geben.
Die absolute Kunst ist
nicht ein Grundstein, sondern
ein Endpunkt. Es
ist nicht denkbar, daß
darüber hinaus eine Entwicklung
möglich ist.
Kurzfristige Ismen entstehen
jetzt mehr denn
je. Wie alles Neue werden
sie von einem Teil
frenetisch beklatscht und
als Herrscher auf den
Schild gehoben. Als Gegenpol
der Doktrin, die
Erstarrung zeitigt, sind
sie nötig wie Sauerteig.
Als Majorität wären sie
nicht denkbar. Auch hier
ist die Kunst Abklatsch
des öffentlichen Lebens.
Wir warten noch immer
auf den Mann, das umfassende
Genie, der uns
führen soll wie Israel aus
Ägypten. In dieser Sehnsucht
liegt das Bekenntnis
unserer Kraftlosigkeit
. Der Wille ist da,
aber er kann keine Berge
versetzen. Der Glaube
ist uns verloren gegangen
. So ist Zwiespalt wohin
wir schauen.
Wir finden keinen Weg
nach rückwärts, das Vergangene
dünkt uns überlebt
. Wissen bloß, daß
wir aufbauen müssen, aber
auf welche Weise das geschehen
soll, ahnen wir
nicht. So taumeln wir in
einem Labyrinth. Opfer
scheinen wir, aber noch
sind wir zu stark aktiv,
um ein solches auf uns
zu nehmen. Wir stehen
mit einem Fuße noch im
Persönlichen, während die
Tendenz des Ostens Un-
persönlichkeit ist. Und
trotzdem haben wir innerlich
das Gefühl, daß die
Entwicklung nach dieser
Seite drängt.
C. EBBINGHAUS B VENUS M. TAUBEN (SILB.)
C.EBBINGHAUS □ DAVID (KLEINBRONZE)
Unsere Kunst ist ein
Spiegel aller dieser Empfindungen
. Ihre Probleme
gehen weit hinaus
über Form, Farbe, über
die Lösung der Fläche,
über alle ästhetische Fragen
. Die Werke sind nur
eineProjektion einerWelt-
anschauung, der Kampf
nur der Ausdruck einer
wankenden Welt. Das
Symptom, daß so viele,
die bisher in den geregelten
Bahnen ästhetischer
Ausdrucksweise gewandelt
sind, alles, was
früher an ihnen groß
und bedeutend angesehen
wurde, über Bord werfen
und äußerlich undankbaren
Zielen zustreben,
muß zum Nachdenken
reizen. Es liegt in unserem
Schaffen der Wille
über das Gewöhnliche
hinauszugehen. Das ist
der Urgrund unserer Tragik
. Eine Sturm- und
Drangperiode in gesteigertem
Sinne, ein Streben
nach Unmöglichem.
Wir können die Erdenschwere
nicht abstreifen
. '
Wie lange dieser Gärungsprozeß
dauern wird,
kann niemand sagen. Er
war notwendig, daher ist
er gekommen. Die Harmonie
, die uns versagt
ist, wird späteren zuteil
werden. Daß sich dieser
Vorgang gerade bei dem
deutschen Volke in seiner
schärfsten Form abspielte
, ist kein Zufall.
Wir sind immer Kulturdünger
gewesen. Das ist
vielleicht unsere eigenste
Bestimmung, darin liegt
am Ende unsere welthistorische
Mission. Das
ist unsere Tragik, aber
sie ist von erhabener
Größe, die ihresgleichen
nicht findet.
Egon Hofmann
Die Kunst für Alle. XXXVI.
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