Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 43. Band.1921
Seite: 256
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0300
schaft Schinnerers hat Ähnlichkeit mit einer
von Rembrandt. Aber die Einfachheit, die
sichere Größe, der Geist in der Handhabung
der kalten Nadel, das ist das, was zum Vergleich
mit dem ganz Großen zwingt. Auch
andere Kaltnadelarbeiten und Radierungen, die
wir hier veröffentlichen, zeigen Schinnerers
rasch gewordene Meisterschaft. Auch hier nur
ein Vergleich: Bei Hans Meid, der von den
Florentiner Radierungen Schinnerers eigentlich
ausging, um ganz den impressionistischen Weg
zu verfolgen, ist die Kongruenz erstaunlich von
Technik und Stoff. Bei Schinnerer tritt das
eigentlich Stoffliche viel mehr zurück — geht
er doch bewußt so weit, daß z.B. das Kostümliche
ganz an Interesse zurücktritt. Er besitzt
das Geheimnis, auch seine bekleideten Gestalten
schier zeitlos wirken zu lassen. Aber, hat er
nicht die Brillanz der Lichtwirkung Meids, gibt
er das Fleisch nicht so weich, so sinnlich wie
Meid, das Blatt mit dem Lauscher am Wasser
ist Beispiel, wie hier Schinnerer doch ohne
raffinierte Mittel restlos Licht, Sonne, Ferne,
Körper, Fleisch, Laub, Wasser, Luft mit einer
Technik, die längst alle Mischungen scheut,
beherrscht. Bei ihm vergißt man das Technische
— bei Meid ist das technische Interesse
zu allernächst auffallend.

Wenn doch der Weg zum ganzen deutschen
Volke durch Schinnerers Landschaften gefunden
würde. Dann kämen als Wege zu Schinnerer
in Betracht die Landschaften aus der Tobiasgeschichte
, aus den Zeichnungen eines Verliebten
und dann die Gestalten, die nur gewachsen
sind aus heimischer Erde. Niemals
würde hier Kunstgenuß versanden in sentimentalen
Geschichten. Unser Volk verlangt nach
neuer Kraft, verlangt nach neuen Formen mit
neuem Inhalt. Schinnerer gibt sie uns. Wenn
seine Gefühlswelt aber noch so reich, noch so
sehr uns alle bereichern könnte, ich würde doch
heute nicht zu ihm alle und alle locken wollen,
wenn nicht eines so fest und gehaltvoll und
ernst zu nehmen wäre bei ihm: die Form. Und
wenn nur irgend etwas in seinem Werke von
Frankreich oder Asien oder Dürer oder Rembrandt
entlehnt wäre, würde ich gar vor ihm
warnen. Denn niemals mehr als heute müssen
wir uns ganz auf die eigene, schwere, schwierige,
aber wahrhaftige deutsche Art besinnen und
stützen. Leihgaben taugen hier nichts. Das
mag manchem Kunstschwätzer und Kunstschwachen
Verzicht auf Reichtum, wie Lob
der Armut und Engherzigkeit, ja des Banausen-
tums klingen. Gut.

Mögen doch gewisse„international" Gerichtete
über unsern Meister spötteln, mögen sie meinen,
seine Gestalten mit den knochigen, schier bäuerischen
Köpfen, mit den ungelenken, tastenden
Bewegungen wäre die Umwelt eines Künstlers,
der irgendwo weit hinten in einem weltfernen
Dorfe säße und der nie sich um all die vielen
schönen Dinge gekümmert, von denen jede
höhere Tochter pflichtgemäß schwärmt. Ich
sehe in der Erdenschwere der Gestalten Gesundung
und aus ihrer inneren Bewegtheit kommt
mir der Glaube an deutsche Zukunft, kommt
Befreiung von aller Angst im Tohuwabohu der
gegenwärtigen Kunst. Übrigens ist die Meinung
jener „Internationalen" gründlich falsch. So viel
Künstler ich in ihrem Heime schon besucht,
kein Künstlerheim hat mich noch so lebendig
überzeugt von der Weite und Tiefe, von der
Freiheit und Wärme, vom Reichtum der Anschauungswelt
eines Künstlers wie das Heim
Adolf Schinnerers. Freilich ein reicher Mann
wurde der 45 jährige Schinnerer trotz großer
Opuszahl noch längst nicht, manch anderer
Künstler mag wertvollere Originale von Rembrandt
, Dürer, Utamaro, Brueghel, Cezanne,
mag kostbarere Bilder von Piero della Fran-
cesca, von Künstlern Italiens und Ostasiens
besitzen — als Schinnerer; aber kaum einer
liebt sie, versteht sie so, bewahrt sie sich so in
nächster Nähe, bei der Druckerpresse und am
Arbeitstisch, mit solcher Verehrung, wie unser
deutscher Künstler. Diese Bilder sind ihm nicht
Dekoration, die Werke der Größten sind ihm
letztes Bedürfnis — er gab und gibt lieber alle
möglichen Bequemlichkeiten auf, als solche Zeugnisse
wahrhaftiger, persönlicher Kultur aus noch
so ferner Zeit oder Landschaft.

Möchten die Zeilen, die wohl sehr unter der
Voraussetzung der Kenntnis eines Teiles wenigstens
der Arbeiten Schinnerers leiden mögen,
vor allem erst mal in die Kupferstichkabinette
Deutschlands locken, um dort einen unserer
besten deutschen Künstler kennenzulernen.

Er selbst wird sich nie vordrängen. Die Vorsichtigkeit
und Bescheidenheit seines Wesens
mag wohl im rechten Verhältnis zu seiner Erkenntnis
von der Größe des noch zu verfolgenden
Zieles stehen, sie steht sicherlich im umgekehrten
Verhältnis zur Bedeutung seiner Persönlichkeit
für Gegenwart und Zukunft deutscher Kunst.

Freilich wir Deutsche schwärmen so gern von
der Schönheit eines Sonnenaufgangs. Diese zu
genießen, heißt's früh aufstehen. So ist's bequemer
zu warten bis zum Tag, noch besser
zum Abend, wenn wieder einmal Sonne Schönheit
wird und untergeht.

Machten wir's nicht bisher fast stets so mit
neuen Künstlern, wenigstens der Heimat?

Nun Schinnerers Sonne steht noch nicht im
Zenith — sonne sie uns glücklich auf ihrer
noch weiten Bahn! E.W. Bredt

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