Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 43. Band.1921
Seite: 266
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0314
„Geht's kunterbunt zu, verzage nie,
Kunst und Leben spotten jeder Theorie."
Kunterbunt hat Bühler es zwar nicht getrieben,
aber seine Kunst spottet in gewisser Hinsicht
jeder Theorie. Sie quillt und wächst organisch
aus seiner Wesenheit, seiner alemannischen
Natur. Er ist eine Persönlichkeit. Wie als
Künstler, so auch als Mensch, hat er eine festgefügte
Kunst- und Weltanschauung. Das bewahrt
ihn davor, von jedem Wind ins Schwanken
gebracht zu werden. Er baut sich und seine
Kunst nach seinem eingeborenen Gesetz. Der
mystisch-spekulative Geist, der in der Gotik
mit spielender Überwindung der Materialbedingtheiten
in den herrlichen Domen wie steingewordene
Musik gen Himmel stürmte und in
das Geflecht von mathematischen Gesetzen der
Statik und der Dynamik die wundervollsten
Geheimnisse hineindichtete, weht deutlich auch
in Bühlers Kunst in neuzeitlicher Gestaltung.

In dem Harlungenbilde „Die Königskinder"
offenbart sich dieser Geist der Menschen- und
Kunstvollendung wohl am klarsten. Das Bild
mit seinem reichen Randtafelwerk um das Mittelbild
widerspricht in allem und jedem dem, was
„heute" vom „Bild" verlangt wird. Es ist erzählerisch
, hat Gemütswerte, verkörpert einen
tieferen Sinn. Es ist zugleich ein Geschichtsbild
und hat „sogar" malerische, d. h. koloristische
Qualitäten; es verzichtet auf allegorische Symbolik
, trotzdem es symbolisch durch und durch
ist. Die Bildidee ist jedoch so rein und spielend
in die malerische Gestalt umgewertet, daß
im Bild die abstrakte Idee der sich brüderlich
liebenden Fürstensöhne aus Breisgau, deren
Liebe nach der Lehre ihres Meisters Eckart die
ganze Welt umfaßt und durchdringt, schaubar
wird. Zugleich ist das Werk das künstlerisch
gestaltete Symbol für die alemannische Art und
Bestimmung: der blonde und der braune Typ
verschmelzen hier zur realen Einheit des Guten,
Schönen und Lebendigwahren. So wird Geschichtsstoff
in mythologischer Fassung lebendig,
und das Märchen (die Märe der Vorzeit) wird
in mystischem Farbenglanz zum blühenden,
fruchtbringenden Inhalt des Malwerkes, wie
zum Symbol höchster Liebeskraft.

In der Predella ist das Walten der Natur
im Unorganischen der Körper von Fels und
Wasser, im modernden Gerippe und in der um-
blümten Vogelbrut dem vergeistigten Inhalt des
Giebelfeldes, des Märchens (der Frau Sage),
entgegengesetzt: der Realismus gegenüber der
Idealität. In den beiden Seitenbildern wird das
Aktive des braunhaarigen Mannes dem Passiven
(Hoffenden) der blonden Frau gegenübergestellt
, während die Blickrichtungen dieser Gestalten
durch die Blickrichtungen der Figuren

des Mittelstückes kreuzweise in Beziehung gebracht
sind und sich wechselseitig ergänzen. Als
Ganzes aber ist das symbolische Gewebe in ein
bestrickendes sinnliches Gewand der Schönf arbig-
keit gekleidet vom warmen Rot des Mantels über
den Schultern der Königssöhne, die auf weißleuchtenden
Pferden über den Moder der Natur
einherreiten, bis zum tonigen Silberbraun der
Predella und zum mystischen Blau und Goldgrün
des Giebelfeldes.

Dieses Werk, das als Historienbild im Auftrag
der Stadt Freiburg geschaffen wurde, ist in seiner
mythologischen, wie allgemein menschlichen
Fassung und Durchführung eine dichterischkünstlerische
Gestaltung geworden. Durch diese
blickt man, wie durch ein klares Glas, in seine
tiefere Bedeutung: die brüderliche Liebe der
beiden Fürstensöhne erweitert sich zur vorbildlichen
Alliebe. In gleicher Weise ist „die
hohe Zeit" ein charakteristisches Werk für
Bühlers Schaffen und vielleicht für seine in
Italien geläuterte Kunstanschauung noch bedeutsamer
, als das Harlungenbild. Die Har-
lungen stehen in Bildauffassung und Gestaltung
wesentlich auf deutschem Boden, auf dem naiven
Zusammenstellen von Bildeinheiten und dem
Werfen des Balls ins Unendliche. Die „hohe
Zeit" geht in der Bildung der Mittelgruppe
mit dem ebenso einfachen als flüssigen Umriß
und in der Herausarbeitung der Figuren sicher
auf italienische Anregungen zurück. Da tritt das
Naive zugunsten fast mathematischer, wissenschaftlicher
Gesetze hintan. Das ganze Bild steht
unter dem Einfluß plastischer Anschauungen.
Man kann sich darunter die konstruktiven
Quattrocentisten (von Pollajuolo an) bis zu den
überkühnen Seicentisten (etwa Michelangelo)
denken. Nur der totentanzartige Reigen und
das grandios einfache Naturspiel des lichtdurchfluteten
Himmels ist aus germanischen Untergründen
hervorgewachsen, wie auch die Übersetzung
des Bildgedankens ins Allgemeinheitliche
: daß Liebe über Tod und Leben triumphiert
. Auf die nahen Beziehungen dieser Bildfassung
zu Otto Greiners Kunst soll hier einstweilen
nur leise hingedeutet werden.

Von hier aus ist auch die Plastik „Maria
Johanna" mit ihrer abwechslungsreichen Symmetrie
und einfachem Umriß leicht zu verstehen
, namentlich wenn man ihren Ursprung
aus der „Pietä" im Auge behält. (Siehe Februarheft
1914).

Dieser Zug ins Allgemeine, der von den
realen Erscheinungsformen unmerklich in ihren
tieferen Sinn ausmündet und zur wundervollen
Idealität wird, läßt sich fast durchweg in den
Bühlerschen Werken im engeren und im weiteren
Sinne nachweisen und nachfühlen. Vielleicht

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